Mit “The Other I” machen Colette und Hannah Thurlow alias 2:54 einen großen Schritt nach vorne: musikalisch, aber auch in puncto künstlerischem Selbstbewusstsein. Wirkte ihr 2012 auf dem Cure-Label Fiction erschienenes Debütalbum noch ein bisschen unentschlossen – die Thurlows bezeichneten ihren Sound als “Mischung aus Lush und Girlschool”, klangen aber eher wie Evanescence-meets-Starship – haben sie für das neue Album an allen entscheidenden Stellschrauben gedreht.
Als erstes wechselten die in Irland geborenen und in London lebenden Schwestern, die sich nach ihrer Lieblingsstelle aus dem Melvins-Song “A History of Bad Men” benannten, die Plattenfirma: sie veröffentlichen nun bei Bella Union und sind damit Labelmates von Beach House, Snowbird und Midlake – wahrlich kein schlechtes Umfeld.
Der Albumtitel “The Other I” ist inspiriert vom Lieblingsdichter der Schwestern, Percy Bysshe Shelley – dieser lebte im 18. Jahrhundert, war ein leidenschaftlicher Romantiker und Atheist mit dezidiert politischem Bewusstsein. Seine Freundin und Muse Elizabeth Hitchener bezeichnete er als sein “zweites Ich” – damit identifizieren sich Hannah und Colette voll und ganz, fühlen sie sich doch auf “intrinsische” Weise miteinander verbunden, wissen immer genau, was die andere fühlt und denkt. Wer jetzt befürchtet, dass der romantisch-literarische Überbau das Album überfrachten könnte, irrt: Shelleys Poesie dient allenfalls als thematischer Ankerpunkt, wobei sich die Texte überwiegend um typische Ängste unserer Zeit drehen (Einsamkeit, Überlastung, Entfremdung), aber auch der Liebe in all ihren Facetten huldigt. Zweifelsohne wird der Shelley-Bezug im Gothic-Lager für begeistertes Juchzen sorgen – schon das erste Album von 2:54 näherte sich, noch etwas schüchtern, der schwarzgewandeten Community, die sie nun mit weit geöffneten Armen aufnehmen wird.
Dass 2:54 in den vergangenen Jahren mit Bands wie The XX, Warpaint und Wild Beasts auf Tour waren, hat definitiv Spuren im Sound der Schwestern hinterlassen: Atmosphäre heißt das Zauberwort, das Hannah und Colette mit Unterstützung von Fever Ray-Producer James Rutledge genüßlich auskosten. Druckvolle Rockelemente gehen in lauernd-wabernde Bassläufe über, was avantgardistische Popmomente á la Björk (“In The Mirror”) und energetischen Wave-Folk (“No Better Prize”) nicht ausschließt. Der Opener “Orion” dehnt sich psychedelisch in Raum und Zeit aus, “The Monaco” erzeugt unheilvolle Stimmungen, während “Raptor” zum Headbanging einlädt – 2:54 baden in allen dunklen Farben von Dramatik bis Feenhaftigkeit, können schwermetallen losrocken und sanft und sehnsuchtsvoll zugleich sein.
Die Thurlows sagen, dass sie in der Musik Gefühl über Logik stellen: die logische Schlussfolgerung aus “The Other I” lautet, dass sie sich auf ihr Gefühl bedingungslos verlassen können. 2:54 sind auf dem besten Weg zur Mainstage-Band.