Lenny Kravitz muss das Rad seiner Musiker-Karriere nicht mehr neu erfinden. Auf seinem neuesten Studio-Album „Strut“, das im September diesen Jahres veröffentlicht wurde, kehrt er darum auch klanglich zu seinen Rock-Wurzeln zurück. Die erste Single-Auskopplung „The Chamber“ präsentiert sich zwar noch recht poppig und eingängig, steht damit aber im Gegensatz zum restlichen Material, auf dem Kravitz verstärkt die E-Gitarre rausholt. Mit eben jener neuen Platte im Gepäck steht der Wahl-Pariser nun wieder auf der Bühne und lockte das Berliner Publikum in die bis auf die hintersten Ränge gut gefüllte o2 World.
Als Kravitz mit ein wenig Verspätung endlich die Bühne betritt und gleich zu Beginn der Show mit „Dirty White Boots“ einen Song seines neuen Albums spielt, hat das Publikum sich bereits zu großen Teilen von seinen Stühlen erhoben und ist bereit in den folgenden fast zwei Stunden einem Querschnitt aus dem Klang-Repertoire des Künstlers zu lauschen. Die Setlist an diesem Abend zählt zwar „nur“ ganze fünfzehn Songs, doch schaffen es immerhin vier ganz neue Stücke mit in das Konzert. Unter anderem auch der Titeltrack zur neuen Platte „Strut“.
Es wirkt beinahe wie ein Scherz, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass der sehr agil wirkende, vor Kraft strotzende Mann dort auf der Bühne dieses Jahr seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert hat. Optisch zeugt wenig bis gar nichts von dieser Tatsache, die Kravitz dank eines Energie geladenen Sets im Handumdrehen vergessen macht. Fit wie eh und je lässt dieser seine Gitarre locker im Handgelenk liegen und wirkt mit seinem Ledermantel, der Lederhose, Schlangen-Print-Boots und dem Schal ein wenig wie die smarte Version des Rock-Typs. Abgerundet mit einer verspiegelten Sonnenbrille lässt er sich zwar die gesamte Show über nicht in die Augen, aber dafür musikalisch in die Karten blicken.
Neben ihm auf der Bühne reihen sich links von ihm drei Backing-Sängerinnen, die von David Bowie langjährige Bassistin Gail Ann Dorsey und ein Keyboard-Spieler ein. Rechts von ihm aufgereiht ein weiterer Gitarrist, eine Schlagzeugerin sowie ein kleines Blechbläser-Ensemble. Seltsamerweise verkommen über den Lauf des Abends hinweg die gespielten Songs häufig zu kleinen Sound-Monstern, die mit überproportional vielen Soli bisweilen mächtig in die Länge gezogen werden. Was stellenweise auch in Ordnung geht, jedoch in der o2 World in diesem großen Umfang irgendwann dazu führt, dass man sich ein wenig vom Bombast erschlagen fühlt. Mit einer so immensen Fülle an Song-Optionen wünschte man sich ab und zu lieber ein neues Stück herbei.
Und das, obwohl Kravitz wie auch seine Band rein spielerisch, wie immer, eine erstklassige Leistung boten, die von riesigen Visuals im Hintergrund oder Live-Shots begleitet wurden. So konnten auch die Fans in den letzten Reihen zumindest einen etwas genaueren Blick auf den Mann werfen, der dem Publikum mitten im Konzert ein bis in die hintersten Ecken schallendes „Alles klar?“ zurief und dafür großen Zuspruch aus der Halle erntete. Überhaupt lobte Kravitz die Hauptstadt in einer kurzen Ansprache über den Klee und deutete an in naher Zukunft einmal mehr Zeit in Berlin verbringen zu wollen, um all die kreative Energie vor Ort aufsaugen zu können.
Selbst beim Song „New York City“ ersetzte er diese Worte im Refrain mit dem Begeisterungsausruf „Berlin!“ und leitete nach Songs wie „It Ain’t Over ‚Til It’s Over“, „Sister“ oder auch „Circus“ in die nächste „Greatest-Hits-Runde“ über. Seltsamerweise zog es besonders bei der Ballade „I Belong To You“ nochmal deutlich mehr Leute von ihren Stühlen empor, die lauthals den Text mitschmachteten. Bei „Fly Away“ genoss Kravitz dann den Ausblick auf eine ihm endgültig ihm zu Füßen liegenden Halle, die von der überdimensional wirkenden Licht-Kugel über der Bühnenmitte gut ausgeleuchtet den Blick auf einen fast schon animalisch wirkenden Lenny Kravitz freigab, der seine Fingerfertigkeit an der Gitarre gerne für kleine Tanzeinlagen oder animierende Gesten in Richtung Fans unterbrach.
Mit zwei Zugaben, „The Chamber“ und dem wahren Song-Knüppel der Show „Are You Gonna Go My Way?“ verabschiedete sich der geborene New Yorker von seiner temporären Residenz in Berlin und schaffte es sogar, dass die Menschen im Stehbereich, aber auch die Fans auf den Rängen gleichermaßen in ein kollektives Hüpfen übergingen. Mit genügend Puste und körperlichem Einsatz folgte das aufgerüttelte Publikum völlig der von Kravitz aufgeworfenen Fragestellung. Zwar brach die Menge nach dem Song die Reise in die eigenen vier Wände an, innerlich dürfte die überwiegende Anzahl der Zuschauer aber weiter an Lennys Seite geblieben sein und sich für seine Seite des Weges entschieden haben.