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Keine Maniküre für Kara – We Are Shining im Interview

Die beiden Soundtüftler Zarate und Acyde veröffentlichen mit ihrem Debütalbum “Kara” ein Werk, das sich bewusst dem Einheitsbrei verweigert. Sowohl die grundlegenden Songideen als auch der Feinschliff in produktionstechnischer Hinsicht wehren sich gegen das polierte Bild, dem viele Künstler nachjagen. Genau genommen reizt We Are Shining das Gegenteil dieses Zustandes und es fällt schwer, die entstandenen Songs auch nur halbwegs auf einen Stil festzunageln. Mit einem kreativen Drang so groß wie die Genre-Vielfalt, die auf “Kara” zum Vorschein kommt und dem Verlangen, ein klangliches Resultat zu erzielen, das seiner Form nach unkonventionell und spannungsgeladen ist, verbindet das englische Duo afrikanische Rhythmen, Hip-Hop, Soul, aber auch Rock und Blues miteinander als gäbe es keinerlei Grenzen. Wir trafen We Are Shining anlässlich der Veröffentlichung ihres Debüts zum Meinungsaustausch über den wissenschaftlichen Charakter von Musik, zeitliche Sphären und kreative Frustmomente.

MusikBlog: Ihr werdet hinsichtlich eures Albums “Kara” in der Presse mit Begriffen wie “Sonic Alchemists” gehandelt. Könnt ihr das nachempfinden und findet solche Beschreibungen als zutreffend für eure Arbeit?

Morgan Zarate: Wenn es beinhaltet, dass wir mit unseren Songideen Gold machen, schon! (lacht)

Acyde: Dabei geht es doch auch immer um das Mixen von unterschiedlichen Elementen, was unserer Arbeit doch sehr nahe kommt. Am Ende des Ganzen steht dann eine chemische Reaktion. Von daher fühlt sich solch eine Bezeichnung recht passend an.

Morgan Zarate: Ebenso wie die Chemie ist das Musikmachen auch eine Wissenschaft für sich. Manipulation kommt in beiden Feldern vor. Seien wir einmal ehrlich, auch wir manipulieren als Musiker mit einer Art Vision bestimmte Schwingungen und Tonfrequenzen. Damit rufen wir auch ausserhalb unseres Organismus eine Reaktion hervor. Es ist schon seltsam, was für Gefühle man durch Musik hervorrufen kann. Mal willst du dazu weinen, dann wiederum zieht es dich auf die Tanzfläche. Insgesamt gesehen, ist es ein sehr einflussreiches Mittel, um Reaktionen hervorzurufen. Mit unserem Album “Kara” wissen wir um die Kraft der Songs, die sich daraus entwickeln kann. Ich würde das reine Musikmachen als Vorgang nicht unbedingt unter einem wissenschaftlichen Aspekt sehen. Ein Album zu machen, grenzt dagegen schon an eine Wissenschaft. Und die unmittelbare Art, dieses dann zu verbreiten ebenfalls. Egal, ob du die Musik auf Vinyl gepresst vor dir hast oder dir ein Song aus den Lautsprechern um die Ohren fliegt. Der Tontechniker, der einen Song mixt, hat doch stark etwas von einem Wissenschaftler, der an einer bestimmten Sache tüftelt.

Acyde: In den 60ern und davon ausgehend war das noch viel verstärkter der Fall, als es darum ging auf klanglicher Ebene Neues zu erschaffen. Damals haben die Tontechniker auch noch Kittel getragen! Warum wohl? (lacht)

Morgan Zarate: Das stimmt! In gewisser Hinsicht wird Musik auch als Waffe eingesetzt.

Acyde: Es ist nicht mehr nur der reine Klang, sondern vor allem seine Wirkung, die ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerutscht ist. Plötzlich kann ein Geräusch so heftig sein, dass alles in diesem Raum anfängt zu wackeln. Also nicht, dass du, Morgan, in der Lage wärst so etwas hinzubekommen. (lacht)

Morgan Zarate: Hey! Was soll das denn wieder heissen? Natürlich kriege ich das hin! Aber zurück zur Frage – wenn man uns als “Sonic Alchemists” bezeichnen will, geht das für mich völlig in Ordnung.

MusikBlog: Wie viel von dem, was wir nun auf “Kara” zu hören bekommen, beruht im Entstehungsprozess auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie viel dann doch auf emotionalen Vorgängen?

Morgan Zarate: Der eigentliche Entstehungsprozess beinhaltet meiner Meinung nach wenig wissenschaftliches Arbeiten. Das kommt erst später, wenn die Songstrukturen gegeben sind. Die reine Idee basiert dann doch auf einem Gefühl, von dem man in allererster Linie ausgeht. Bei uns dreht sich vieles um die richtigen Vibes. Wenn ich Spaß an der Musik habe, dann kann ich mir sicher sein, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Erst beim Mixen verschiebt sich die eigene Wahrnehmung dahingehend, dass technische Prozesse eine größere Rolle spielen.

MusikBlog: Kam es bei den Aufnahmen zu “Kara” zu ungewollten Reaktionen oder kleineren “Explosionen”?

Acyde: Oh, die gab es ganz sicher. Immer, wenn wir zusammen im Studio stecken, geht irgendwann etwas hoch. Wir sind sehr leidenschaftlich, in dem was wir tun, also ist es keine Seltenheit, dass wir uns in einem hitzigen Zustand wiederfinden. Sei es eine Diskussion um spezifische Teile eines Songs oder die Tatsache, dass wir aus einer Art euphorischen Stimmung heraus agieren, bei der wirklich alles möglich ist. Als wir zum Mixen nach Atlanta gereist sind, endete dieser Trip förmlich in einer Explosion für uns. Genau genommen, war es eher eine Implosion. Wir tranken viel Whiskey und blickten am Ende auf ein Ergebnis, das nicht wirklich unseren Vorstellungen entsprach.

Morgan Zarate: Vielleicht wussten wir tief in unserem Inneren genau, dass das Mixen in Atlanta zu nichts führen würde und tranken deswegen schon im Vorfeld so viel Whiskey (lacht).

Acyde: Auf jeden Fall musste Morgan anschließend viel Zeit aufbringen, einige Dinge, die in Atlanta passiert sind, wieder auszubügeln. Wir haben während all dieser Zeit gelernt, dass das aber auch irgendwie dazu gehört. Man wird nie aus einem Studio herauskommen und dann 100%ig mit dem Ergebnis zufrieden sein. Also ist es gut, sich von Anfang an vor Augen zu halten, dass man einige Zeit im Studio verbringt, dann die Arbeit an den Songs abschließt und etwas in den Händen hält, das niemals perfekt sein wird. Was nützt es einem, wenn man sich selbst fertig macht und einer Vision hinterher läuft, die man ohnehin niemals voll und ganz erreichen wird?

Der einzige Anspruch, den wir an uns selbst haben, ist der, dass wir unsere Gefühle so genau wie möglich auf die Musik übertragen und wir dabei unser Bestes geben. Du kannst nur versuchen, annähernd an deine Wunschvorstellung heranzukommen. Unsere Musik ist keine Maniküre, bei der man am Ende ein perfektes Resultat erzielen muss. Sie ist nicht dafür gemacht, dass man allzu viel darum herumschleift oder poliert bis alles glänzt. Im Radio läuft dagegen so viel Musik, die total bearbeitet klingt und bewusst auf Hochglanz gebracht wurde, so dass überhaupt keine Emotionen mehr fühlbar sind. Wir wollten mit “Kara” jedoch kein mechanisches Album dieser Art aufnehmen.

MusikBlog: Wie war es das ganze Album dann nach eurer Zeit in Atlanta noch einmal mixen zu müssen?

Morgan Zarate: Es hat sich nicht so gut angefühlt, diesen Arbeitsschritt noch einmal machen zu müssen. Es war schon schmerzhaft, das alles ein weiteres Mal anzugehen. Ich fand es schrecklich, unsere Songs zu hören und dann nicht damit zufrieden zu sein. Also mussten wir dahingehend von vorne beginnen. Ich hätte nicht mit diesem Resultat leben können, etwas in die Welt hinauszusenden, das zwar Potenzial hat, aber eben nicht das ist, was wir eigentlich am Ende haben wollten. Ich glaube viel zu sehr an das, was wir tun, als dass ich unsere Musik so leichtfertig behandeln würde. Man will schließlich keinen Mist veröffentlichen, wenn man so lange daran gearbeitet hat. Ich wusste, dass ich ein paar Dinge gerade zu rücken hatte, bevor ich damit zufrieden sein konnte. Von daher war es ein wenig frustrierend, noch einmal von vorne zu beginnen, was das Mixen angeht. Gleichzeitig führt aber kein Weg daran vorbei, wenn man etwas richtig machen möchte. Es war aber nicht so, dass ich mich in irgendeiner Weise verloren gefühlt habe. Ich wusste schon, wo ich mit unserer Musik hingehen wollte. Die Richtung war immer klar, nur eben nicht die Art und Weise der Reise.

Acyde: Bevor wir uns an die Arbeit zum Album gemacht haben, teilten wir unserem Label und allen involvierten Personen unsere genauen Vorstellungen mit. Teilweise wurden diese nicht für gut befunden oder es kamen Vorschläge, die nicht unserem Ideal entsprachen. Wir haben all das aber so gut wie möglich ignoriert und sind am Ende, aller Vorbehalte zum Trotz, doch auf unserem Pfad geblieben und haben unser Ding durchgezogen. Im Nachhinein haben unsere Ideen genau so funktioniert und wir sind froh gewesen, auf bestimmte Ratschläge nicht eingegangen zu sein. Wir wussten zum Beispiel von vornherein, dass wir unbedingt in ein analoges Studio gehen wollten. Es hat natürlich auch einen gewissen Reiz, vieles am Computer zu machen und es können großartige Dinge dabei herauskommen, aber gleichzeitig wirkt das Ergebnis dann oft auch ein wenig steril. Wir wollten das auf unserem Album unbedingt vermeiden. Anfangs wollte uns niemand zuhören als wir unsere Herangehensweise deutlich gemacht haben, aber wir wussten, dass wir nur auf diese Art ein Album machen konnten.

MusikBlog: Und euer Standhaftigkeit in dieser Hinsicht hat sich ausgezahlt. Seid ihr darauf am meisten stolz?

Morgan Zarate: Absolut! Ich bin sehr froh, dass wir uns durchgebissen haben und dabei so viel Ausdauer bewiesen haben. Natürlich hätten wir uns beirren lassen und noch viele andere Wege einschlagen können, aber wir sind bei dem geblieben, was wir als richtig empfanden. Es ist wichtig, an einer Idee festzuhalten und erst loszulassen, wenn der Zeitpunkt richtig ist. Niemand anderes als man selbst kann bestimmen, wann es soweit ist. Das Label oder das Management können dagegen noch so viele Einwände erheben oder dir weis machen, dass es an der Zeit ist, aber am Ende zählt nur, dass du auf dein eigenes Gefühl hörst. Auch wenn die Leute da draussen vielleicht den ersten Mix des Albums bevorzugt hätten.

Man kann nur auf seine innere Stimme hören und sich an dieser orientieren. Schließlich will man doch nicht mit einer Platte um die Welt reisen, auf die man nicht wirklich stolz ist, weil man hinterher merkt, dass man ein paar Entscheidungen anderen Menschen zuliebe getroffen hat. Das ist eine fürchterliche Vorstellung! Aber es gibt diese Art von Musikern, die das, was sie tun, nur halbherzig machen und sich viel zu sehr beeinflussen lassen. Für We Are Shining könnte ich mir das allerdings in keinster Weise vorstellen. Ich bin zwar daran interessiert, wie dir zum Beispiel die Songs gefallen, aber ich bin glücklich mit ihnen so wie sie sind.

Acyde: Wir haben das Glück, dass wir zu zweit in dieser Band sind. Wir können uns gegenseitig vorantreiben, ohne dass wir dabei verrückt werden, weil alle Entscheidungen auf den Schultern von nur einer Person lasten. Wir hängen nicht permanent zusammen herum, wenn wir an Songs arbeiten, aber es ist natürlich dennoch ein Gemeinschaftsgefühl, dass sich dadurch entwickelt. Wir fällen am Ende aber immer zusammen eine Entscheidung, egal wie unterschiedlich wir an einer Sache arbeiten. Das hilft uns sehr, bei dem, was wir tun. Ich möchte mir nicht einmal ausmalen, wie es wäre, ganz allein für all das verantwortlich zu sein. Um Gottes Willen!

Morgan Zarate: Ich weiss, wie es ist, alleine Musik zu machen und ebenfalls, wie es sich anfühlt in einer Gruppe unterwegs zu sein. Dabei bevorzuge ich es auf jeden Fall innerhalb einer Gemeinschaft zu arbeiten.

MusikBlog: Wie oft sitzt euch der zeitliche Druck bei solchen Entscheidungen im Nacken?

Morgan Zarate: Der zeitliche Aspekt spielt eigentlich immer eine Rolle, auch wenn wir versuchen, uns nicht davon einengen zu lassen. Egal, ob es darum geht, einen Song fertigzustellen, am Cover-Artwork zu arbeiten oder ein visuelles Konzept zu unserer Musik zu erstellen. Da “Kara” unser Debütalbum ist, gab es für uns nur wenig zeitlichen Druck und er war praktisch irrelevant. Wer weiss, wie es in Zukunft sein wird, aber bisher haben wir uns durch den zeitlichen Faktor nicht in die Enge getrieben gefühlt. Das war ein wahrer Luxus, der vielleicht nicht immer in dieser Form bestehen wird. Frag uns noch einmal in einem Jahr! (lacht)

Acyde: Musik hat zum Glück auch die Eigenschaft, alles Zeitliche um dich herum einzufrieren. Wenn du Musik machst, spielt Zeit weniger eine Rolle. Die Leute, die jedoch zum Beispiel ein Album herausbringen müssen, sind da einem viel größeren zeitlichen Druck ausgesetzt. Da lautet der Leitspruch “Zeit ist Geld”. Folglich orientiert sich in dieser Hinsicht alles an einem zeitlichen Rahmen. Für Musiker ist die Zeit oftmals gar nicht existent. Man schläft den Tag über und wird abends oder gar nachts erst so richtig kreativ. Die Grenzen verschwimmen und man schert sich überhaupt nicht darum, wie spät es gerade ist.

Wir sprechen oft darüber. Wie oft kommt es vor, dass wir müde sind und lange an einem Song arbeiten, aber wir machen trotzdem weiter bis alles stimmt. Dabei blenden wir völlig aus, wieviele Stunden wir damit verbringen, ans Ziel zu gelangen. Die Magie der Musik ist es, völlig losgelöst vom zeitlichen Druck etwas zu erschaffen. Es hat fast schon etwas Kindliches an sich, denn als Kind ist es einem auch nicht wichtig, wie viel Uhr es gerade ist. Man richtet sich nicht nach der Zeit, sondern seinem eigenen Rhythmus.

Morgan Zarate: Als Musiker versuchst du, deine ganz eigene Welt zu erschaffen, in der man existieren kann. Dabei ist es nicht wichtig, ob die Sonne gerade aufgeht oder der Mond scheint. Es ist, als ob man in einer Realität lebt, die all das verblassen lässt. Wenn man musikalisch ein Gefühl transportieren möchte, dann sollte die Zeit ohnehin keinen Einfluss darauf haben. Nur die Leute um einen herum definieren dieses zeitliche Konstrukt, in dem man sich befindet. Als Künstler versucht man, sich von diesen Zwängen freizumachen. Was interessiert es mich, wie spät oder früh es gerade für andere ist?

Acyde: Dann wiederum ist es gut, dass nicht alle gleich ticken und es Leute gibt, die davon leben, die Zeit zu ihrer Einnahmequelle zu machen. Sonst würden Musiker wahrscheinlich nie fertig werden oder gar etwas herausbringen. Man braucht solche Menschen schon in seinem Umfeld, um nicht endlos an einer Sache zu arbeiten. Nur sollte die Zeit eben nicht ausschlaggebend dafür sein, wie man etwas macht. Der Inhalt sollte frei davon sein. Man muss in der Lage sein, Dinge zu Ende zu bringen, denn nur so kann man sich neuen Projekten widmen. Es hat also auch etwas Gutes an sich, wenn einem jemand auf die Finger haut, weil man schon ewig an etwas arbeitet. Die Zeit hilft nur nicht dabei, im eigentlichen  kreativen Prozess voranzukommen. Sie kann nur unterstützend sein, wenn es darum geht, das finale Produkt auf die nächste Ebene zu heben.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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