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Soundtrack ohne Film – Fryars im Interview

Die Musikindustrie – ein seelenverschlingender Moloch, in dem feinsinnige Musiker durch diabolisches Vertragswerk wie Sklaven gehalten werden. Na ja, ganz so schlimm war es bei Ben Garrett aka Fryars dann allerdings auch wieder nicht.

Vor fünf Jahren hatte Garrett in seinem Heimstudio sein erstes Album „Dark Young Hearts“ ausgebrütet. Der quirlig-bunte Mix der Platte sorgte dafür, dass weise, langbärtige Musikjournalisten in dem damals Siebzehnjährigen schon das kommende neue Pop-Wunderkind erblickten. Definitiv kein schlechter Start für einen debutierenden Jungspund. Und dann? Dann passierte erstmal gar nichts. Denn Probleme mit seinem Plattenlabel sorgten dafür, dass das schon 2010 begonnene Nachfolgealbum nicht erscheinen konnte. Außer zwei Singles und ein paar Remixen hörte man in den folgenden Jahren wenig von ihm. Aber immerhin wusste Garrett die Zeit zu nutzen. Während er weiter an dem Album feilte, machte er sich auch als Songwriter und Producer für andere Musiker wie Lily Allen, Mika und Marina & The Diamonds nützlich.

Inzwischen hat der 24-jährige Londoner ein neues Label und sein zweites Album „Power“ konnte im November endlich in die Öffentlichkeit katapultiert werden. Anscheinend hatte die Zwangspause wohl auch ihre gute Seite, denn während „Young Dark Hearts“ noch eine originelle, aber auch recht bunt durcheinander gewürfelte Popwundertüte war, ist „Power“ wesentlich ausgereifter und in sich stimmiger. Ein schönes Album, das neben seinem Talent für gute Pop-Melodien auch zeigt, dass Fryars produktionstechnisch einiges dazu gelernt hat. Zwar schmeißt er von den Beach Boys bis zu Daft Punk immer noch gerne die unterschiedlichsten Einflüsse zusammen, aber diesmal kommt das Ergebnis deutlich organischer auf den Plattenteller.

Für den Kitt zwischen den sechzehn Stücken sorgt eine übergeordnete Story. Basierend auf einem dreißigseitigen Script, dass Garrett für einen fiktiven Film geschrieben hat. Also quasi ein Soundtrack auf der Suche nach einem Film. Knapp gesagt, geht es in der Geschichte um die scheiternde Beziehung eines Ingenieurs zu seiner Frau. Laut Plattenfirmen-Info: „Eine fünfjährige Reise durch Fantasie-Welten, über drei Kontinente und all die Herrlichkeiten des Lebens: Liebe, Habgier, Verlust und Tod.“ Äh ja…

Gut, klingt jetzt ein wenig bombastisch und prätentiös, aber keine Angst, die Stücke funktionieren auch ohne den Story-Überbau und gehen ziemlich gut ins Ohr, auch ohne dass man die Geschichte im Detail verfolgen muss. Genug Themen jedenfalls für ein Gespräch mit Ben Garrett alias Fryars mit MusikBlog.

MusikBlog: Es hat lange gedauert bis „Power“ veröffentlicht werden konnte. Ich kann mir vorstellen, dass es für Dich jetzt eine spannende Sache ist, zu sehen, wie das Album aufgenommen wird. Die Kritiken, die ich gelesen habe, waren jedenfalls alle durchweg positiv.

Ben Garrett: Klar, es ist schön, dass es jetzt raus ist. Aber ich werde auch noch eine Menge Arbeit reinstecken müssen, um die Leute dazu zu bringen, es sich auch anzuhören. Ich google mich gerade ständig und habe alle Rezensionen gelesen, die ich finden konnte. Jede einzelne davon. Na gut, so um die fünfzehn. Im Prinzip waren sie schon alle etwas ähnlich, aber immer sehr gut. Bis auf eine. Aber das ist schon ok.

MusikBlog: Als ich „Power“ zum ersten Mal gehört habe, wusste ich noch gar nichts von der Story, die dem Album zugrunde liegt. Und ehrlich gesagt, ich hätte sie jetzt auch nicht weiter vermisst. Ist die Story wirklich so wichtig? Für mich funktionieren die Stücke des Albums auch so.

Ben Garrett: Mir ist schon klar, dass die meisten Leute lieber einzelne Tracks hören, als ein komplettes Album. Aber mir sind schon seit längerer Zeit ein paar Themen durch den Kopf gegangen, über die ich in jedem Fall schreiben wollte. Das Album sollte auch keinen durchgehenden Sound oder Stil haben, deshalb war es hilfreich, die Songs mit einer übergeordneten Story zu verbinden, um so ein zusammenhängendes Ganzes entstehen zu lassen. Aber es sollte auch nichts sein, bei dem die einzelnen Stücke nicht auch für sich alleine stehen könnten.

MusikBlog: Du hast eben Themen angesprochen, die Dir durch den Kopf gegangen seien. Welche waren das?

Ben Garrett: Eines der Hauptthemen ist Macht. Oder Stärke. Im Wesentlichen geht es um zwei Menschen, die sich auseinanderleben. Es geht um verlorene Liebe und Depression (lacht). Und es geht um die Machtverhältnisse zwischen ein paar Menschen. Der Hauptcharakter der Geschichte ist ein Ingenieur, der ein riesiges Kraftwerk gebaut hat, das das ganze Land mit Strom versorgt. Deshalb auch der Titel „Power“. Aber es geht auch um die Macht- und Kraftspielereien in einer Beziehung. Die Frau des Ingenieurs ist sehr ehrgeizig und treibt ihn an. Macht ist eben etwas, welches das Verhalten der meisten Menschen steuert.

MusikBlog: Power ist ein vielschichtiger Begriff mit mehreren Bedeutungen. Interessiert Dich auch der politische Aspekt von Macht?

Ben Garrett: Ich interessiere mich schon für Politik. Aber ich mache mir da gern meine eigenen Gedanken. Heutzutage sind die meisten Leute scharf darauf, im Internet zu fast allem ihre Meinung rauszulassen, auch wenn sie oft noch nicht mal wissen, worum es bei dem Thema genau geht. Die Diskussion um wirklich wichtige Themen wird so oft von Leuten verwässert, die eigentlich keine Ahnung haben, aber dafür umso mehr Lärm machen.

MusikBlog: Gibt es Soundtracks zu realen Filmen, die Dir besonders gefallen?

Ben Garrett: Ich liebe zum Beispiel den Soundtrack zu “Wild Blue Yonder” von Werner Herzog. Die Musik hat Ernst Reijseger geschrieben. Der Film vermittelt einem ein absolut bizarres Gefühl für den Weltraum. Außerdem mag ich noch so Sachen, wie den Soundtrack zur Romeo und Julia-Verfilmung von Baz Luhrmann aus den Neunzigern.

MusikBlog: Wenn Du „Power“ schon selbst als Soundtrack bezeichnest, liegt natürlich die Frage nahe, ob Du auch selber gerne mal einen richtigen Soundtrack schreiben würdest.

Ben Garrett: Ich hab‘ tatsächlich schon mal die Musik zu einem Film geschrieben. Und zwar zu „Deviation“. Ein wirklich extrem schlechter Film mit Danny Dyer in der Hauptrolle. Man kann davon ausgehen, dass jeder Film, in dem er mitspielt nicht im Kino landet, sondern direkt auf DVD. Er ist auch oft in Filmen über Hooligans zu sehen. „Deviation“ ist leider ein ziemlich misslungener, schlechter Film. Aber generell würde ich schon gerne noch mehr Filmmusik machen.

MusikBlog: Das Info-Sheet Deiner Plattenfirma fährt in Bezug auf die Storyline des Albums ziemlich groß auf – „Fünfjährige Reise durch Fantasie-Welten. Drei Kontinente. Liebe, Habgier, Verlust und Tod.“ Wenn man „Power“ tatsächlich verfilmen wollte, würde das eher nach Hollywood klingen, als nach einem kleinen Indie-Film.

Ben Garrett: Die Geschichte ist schon etwas großflächig angelegt. Sie spielt an vielen verschiedenen Orten und Zeiten. Das zu verfilmen wäre natürlich eine ziemlich teure Sache. Es würde wahrscheinlich ein paar hundert Millionen kosten (lacht). Außerdem würde viel Blut fließen. Deshalb hab‘ ich erstmal die Musik zu „Deviation“ gemacht. Der hat insgesamt wahrscheinlich nur 1.000 Pfund gekostet.

MusikBlog: Wen könntest Du dir als Regisseur für eine Verfilmung von „Power“ vorstellen?

Ben Garrett: Den Typ, der „Deviation“ verbrochen hat (lacht). Außerdem würde ich die männliche Hauptrolle gern mit Daniel Day-Lewis besetzen.

MusikBlog: Würdest Du auch selbst gern mitspielen?

Ben Garrett: Das wäre für den Film wahrscheinlich nicht gerade die beste Idee. Aber gut möglich, dass man noch einen kleinen Part in der Story für mich finden könnte.

MusikBlog: Wieviel Ben Garrett steckt eigentlich in den Texten der Songs?

Ben Garrett: Sie sind aus der Sicht der handelnden Personen in der Story geschrieben worden. Aber natürlich transportieren sie unterbewusst auch meine eigenen Gedanken. Sie wurden ja von niemand anderem geschrieben, also müssen sie auch etwas mit mir zu tun haben. Die Texte sind alle eng mit der Story verknüpft. Allerdings schildern sie die Geschichte mehr von der emotionalen Seite der agierenden Person. Man muss sich beim Schreiben in die fiktiven Charaktere reindenken und rausfinden. wie sie auf Situationen reagieren und wie sie sich dabei fühlen.

MusikBlog: Einfühlungsvermögen ist natürlich auch eine wichtige Sache, wenn man für andere Musiker Songs schreibt. Auf der anderen Seite erweitert es garantiert auch den eigenen Horizont. Was hast Du für Dich aus den Kollaborationen mit anderen Musikern gelernt?

Ben Garrett: Es beeinflusst einen natürlich schon, wenn man mit anderen Songwritern, Produzenten und Künstlern zusammenarbeitet. Denn man lernt von jedem immer etwas Neues. Und natürlich ist es gut, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der bekannt und erfolgreich ist, denn die kommerzielle Ausrichtung bringt schon eine andere Herangehensweise mit sich. Es ist definitiv etwas anderes, als wenn man nur für sich seine eigenen Sachen produziert. Und im besten Fall lernt man dadurch auch ein paar neue Freunde kennen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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