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Kreativität ist wie ein Juckreiz – Purity Ring im Interview

Was für andere Bands ganz normal ist, haben Purity Ring aus Kanada für ihr zweites Album “Another Eternity” erstmalig in die Tat umgesetzt. Zusammen im Studio zu hocken, war dem Duo auf ihrem Debüt “Shrines” noch fremd, doch für die Aufnahmen zur neuen Platte steckten Megan James und Chris Roddick die Köpfe zusammen, anstatt sich, wie in der Vergangenheit, auf digitalem Weg über Songideen auszutauschen. Im Gespräch mit uns ziehen sie Bilanz über dieses Wagnis, das sie auch immer wieder in ihre Heimat Edmonton führte. Ganz nahe an der Quelle ihres Schaffens gönnten sie sich die nötige Ruhe, um intensiv an neuen Ideen zu arbeiten. Wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ausfiel, erzählten uns Corin und Megan im Schein des Neonlichts eines Berliner Hotelzimmers.

MusikBlog: Das neue Album “Another Eternity” ist im Kasten. Die Ziellinie habt ihr erfolgreich überschritten, was die Entstehung betrifft. War es eine Durststrecke für euch?

Corin Roddick: Ein ganzes Album zu schreiben, ist schon eine große Herausforderung, der man sich da als Künstler stellt. Wenn man mitten in der Arbeit daran steckt, kann man sich kaum vorstellen, dass es irgendwann einmal fertig sein wird. Manchmal glaubt man sogar, man würde niemals ans Ziel kommen. In allererster Linie fühlen wir uns gerade vollkommen, denn wir haben ein weiteres Album fertiggestellt.

Megan James: Genau diese Tatsache stimmt mich gerade sehr glücklich. Ich bin unheimlich mit dem Ergebnis zufrieden. Der ganze Arbeitsablauf ist mit so viel Stress verbunden, dass ich es nun umso mehr schätze, auf die fertigen Songs zu blicken.

MusikBlog: Mit welchen Tricks und Mitteln seid ihr letztendlich ans Ziel gekommen?

Megan James: Wir haben für dieses Album ein paar Regeln aufgestellt, an denen wir uns bewusst orientieren wollten.

Corin Roddick: Sie haben uns dabei geholfen, uns ganz spezifisch auf die jeweiligen Songs zu konzentrieren. Und das, obwohl wir mehr oder weniger gleichzeitig an allen Tracks gearbeitet haben. Jeder individuelle Song ist für uns wie ein kleiner Kreis, der sich schließt.

MusikBlog: Wie muss man sich diese selbst auferlegten Regeln vorstellen?

Megan James: Wir wollten nicht nach einem festen Plan arbeiten, sondern uns einfach in den Moment reinfühlen. Eben all das aufnehmen, was den Ist-Zustand unserer Musik am besten widerspiegelt. Was die Produktion angeht, wollten wir ausserdem keinen Sound haben, der wieder so schleierhaft ist wie der auf unserem Debüt. Uns schwebte da ein weitaus klareres Klangbild vor. Einer unserer größten Grundsätze war es aber dieses Mal, alle Songs gemeinsam zu schreiben, was eine völlig neue Situation für uns war. Es fühlte sich manchmal fast schon wie eine ganz neue Band an.

Corin Roddick: Gesanglich gesehen, wollten wir die Vocals auch mehr ins Zentrum der Songs rücken und alles Klangliche drum herum sollte großflächiger gestaltet sein. Ganz besonders, weil die Platte davor fast schon klaustrophobisch und ein wenig von allem abgeschottet wirkte. Das wollten wir damals auch genau so haben, aber eine Wiederholung dessen war für uns ausgeschlossen.

Megan James: Gewissermaßen haben wir den Deckel bewusst nicht auf den Topf gesetzt, in dem sich all unsere Zutaten für die Songs befanden. Wir wollten herausfinden, was passiert, wenn sich alles ungehindert entfalten kann. Die Zeit der Gemütlichkeit war damit vorbei. Und die der Dunkelheit ebenfalls.

Corin Roddick: Jetzt zieht es bei uns und es ist ein bisschen kühl! (lacht)

MusikBlog: Der Zustand der Unendlichkeit ist schon fast unvorstellbar und ihr fügt diesem bildlich gesprochen mit dem Albumtitel “Another Eternity” noch eine weitere Dimension hinzu. Was hat es damit auf sich?

Megan James: Der Albumtitel ist ein wenig paradox, wenn man ihn wörtlich nimmt. Die Vorstellung von etwas Ewigem allein ist ja schon abstrakt genug. Geschweige denn, man stellt diesem eine weitere Unendlichkeit gegenüber. Dennoch ist es meiner Meinung nach so repräsentativ für das Album und die Songs an sich. Auf der einen Seite sind die Stücke so offen und weitläufig, auf der anderen Seite sind sie ein wenig verhängnisvoll und stellen eine Art Loch dar, das all das verschlucken kann.

MusikBlog: Welches Gefühl dürfte eurer Vorstellung nach ewig andauern?

Megan James: Ich wünschte mir, ich könnte ewig leben. Kreativ zu sein, bedeutet für mich, etwas zu schaffen, dass unter Umständen länger andauert als meine eigene Person und keinen fixen Haltbarkeitswert besitzt. Dieser Gedanke treibt mich an, Musik zu machen. Dabei ist es eigentlich auch schon fast egal, ob andere Menschen diese überhaupt hören können oder nicht.

MusikBlog: Das Ende von etwas wird oft mit negativen Eigenschaften assoziiert. Liegt für euch auch etwas Schönes darin?

Megan James: Ganz sicher sogar. Indem wir uns gedanklich einer anderen Welt zuwenden und über die Ewigkeit spekulieren, akzeptieren wir den Zustand, dass das Ende ein Teil von uns ist und dem, was uns ausmacht. Für mich ist die Vorstellung eines Neuanfangs nichts Schlimmes. Bestimmte Dinge müssen sogar zu Ende gehen, damit überhaupt etwas Neues entstehen kann. Wenn man es als Chance betrachtet, sich und seine Umwelt weiter zu erforschen, dann ist es doch schön, dass es irgendwo einen Endpunkt gibt.

Corin Roddick: Ausserdem ist die Kreativität wie ein Juckreiz gegen den man nichts unternehmen kann.  Warum sollte es da also eine Form der Begrenzung geben? Du kannst ihn nur kurzzeitig stillen bevor er dich wieder packt.

MusikBlog: Jedes künstlerische Werk hat zwei Gesichter. Eines davon ist im Jetzt verankert. Das andere ist der Zukunft zugewandt. Fühlt ihr euch mit eurer Musik einem näher als dem anderen?

Corin Roddick: Vielleicht sollte man das nicht von sich selbst behaupten, aber ich glaube schon, dass unsere Musik eher dem Jetzt zugewandt ist. Zumindest versuche ich, mir nicht zu viele Gedanken um das zu machen, was darüber hinaus geht. Sonst würde ich sorgenvoll dasitzen und womöglich daran zugrunde gehen. Während des Entstehungsprozesses sind solche Gedanken verhängnisvoll. Erst, wenn man beispielsweise auf einen fertigen Song blickt und bereit ist, diesen herzugeben, ist es okay, sich mit seiner Wirkung im zeitlichen Kontext zu befassen. Wenn wir Songs schreiben, konzentrieren wir uns lieber ganz darauf und erfreuen uns an der mitschwingenden Aufregung, die die Arbeit begleitet, anstatt in uns hineinzuhören, ob der jeweilige Song vielleicht mehr als nur eine Momentaufnahme sein könnte.

MusikBlog: Wie sahen die ersten Schritte aus, die zum jetzigen Ergebnis führten?

Megan James: Wir haben während der gesamten Tour und für ungefähr eineinhalb Jahre danach keine Songs geschrieben. Als wir uns dann zusammensetzten, wussten wir zunächst gar nicht, worauf wir uns einlassen würden. Es hat sehr lange gedauert, bis wir loslegen konnten, aber sobald da ein kleiner Funken war, an dem wir anknüpfen konnten, fühlte es sich gut an und wir entspannten uns ein wenig. Ich denke, es ist irgendwo normal, dass man sich diese Zeit als Künstler gönnt, in der man eine Art Pause einlegt. Es hilft einem dabei, sich wieder bewusst zu machen, was man da eigentlich macht. Auf Tour rauscht alles so an einem vorbei und es fehlt einem die nötige Ruhe dazu.

MusikBlog: Wie habt ihr euren Kopf von all den Eindrücken freigemacht?

Corin Roddick: Ich kann nur sehr schlecht abschalten. Selbst, wenn wir nicht auf Tour sind, mache ich mir ständig Gedanken und mein Kopf steckt unter dieser Glocke. (lacht)

Megan James: Ich bekomme den Kopf komischerweise am besten frei, wenn ich an etwas arbeiten kann. Andere Leute brauchen die völlige Loslösung davon, aber sobald ich mich auf etwas Neues stürzen kann, merke ich, dass ich meine Batterien wieder aufladen kann. Das muss aber keineswegs etwas mit Musik zu tun haben. Ich kann mich auch genauso gut hinsetzen und mich der Poesie widmen, um mich auszudrücken. Gedichte zu schreiben, hilft mir dabei, meine Gedanken zu ordnen.

Corin Roddick: Wir sind sehr dankbar dafür, dass uns diese Zeit gegeben wird, damit wir kreativ sein können. Ein Album zu machen, ist gleichermaßen eine Pause und Stress in einem. Es ist großartig, die Möglichkeit zu haben, sich ganz und gar auf so ein großes Projekt konzentrieren zu können, ohne nebenbei noch andere Jobs ausüben zu müssen. Viele Künstler haben nicht diesen Luxus.

Wenn man ein Album macht, gibt es unzählige Wege, das anzupacken. Theoretisch kann es einen in alle möglichen Richtungen führen. Es ist ein wenig so, als würde man die Nadel im Heuhaufen suchen, um den richtigen Zugang zu finden, der einem passend erscheint. Wir haben ziemlich lange gebraucht, um unser Türchen ausfindig zu machen, als wir uns an die Arbeit zu “Another Eternity” gemacht haben. Man kann sich schnell gelähmt fühlen, wenn man anfangs nicht so recht weiss, wie man am besten anfangen soll. Aber wir haben gelernt, dass es sehr wichtig ist, sich nicht von diesem Zustand beirren zu lassen. Kaum hatten wir mit dem Schreiben der Songs für die neue Platte angefangen, fragten wir uns, warum wir nicht schon eher damit angefangen haben.

MusikBlog: Was hat euch dabei geholfen, durchzuhalten bis ihr etwas hattet, mit dem ihr arbeiten konntet?

Megan James: Für dieses Album nahmen wir uns explizit eine Woche lang im Monat Zeit, um intensiv an Songs zu arbeiten. Das war etwas mühselig und einer der Gründe, warum es so lange gedauert hat, aber es war eine wichtige Erfahrung für uns, die uns insgesamt weitergebracht hat. So konnten wir uns jeweils sieben Tage am Stück sehr genau um unsere Ideen und deren Umsetzung kümmern.

Corin Roddick: Natürlich haben wir jeweils individuell auch zwischendurch Songideen ausgearbeitet.

Megan James: Einmal verbrachten wir eine Woche lang in Texas auf einer Ranch, dann wiederum trafen wir uns ein paar Mal in Edmonton und so hatten wir immer einen klaren Bezugspunkt, was uns dabei geholfen hat, auch eine klare Linie für die Aufnahmen zu finden. Wir haben diese Zeit ganz klar so betrachtet, wie jemand, der morgens aufsteht und zur Arbeit geht. Es kann fatal sein, sich der Illusion hinzugeben, dass man eine Woche lang zusammenkommt und gemeinsam in einem Zustand der Ungewissheit herum wabert. Das wollten wir auf jeden Fall vermeiden und haben es durch diesen temporär begrenzten Abschnitt und den damit einhergehenden Ort auch ganz gut geschafft. Wir wussten, dass wir uns einer Umgebung aussetzen mussten, die uns dabei half, kreativ zu sein und das war ein Weg, um dorthin zu gelangen. Für viele andere Bands ist das ganz normal, aber es entsprach eben nicht unserem gängigen Arbeitsablauf, den wir bisher gewohnt waren.

Corin Roddick: So fokussiert zusammenzuarbeiten war eine tolle Erfahrung für uns, was aber nicht heisst, dass wir jede Woche das Studio mit einem Haufen Songs verlassen haben. Manchmal hockten wir drei oder vier Tage zusammen und brachten nichts Anständiges hervor. Das gehört aber nun einmal ebenso dazu. Es kann nicht jeden Tag etwas Großes und Wundervolles entstehen. Wir machen uns da als Band nichts vor.

MusikBlog: Hat diese Erfahrung die musikalische Verbundenheit zwischen euch gestärkt oder in irgendeiner Form verändert?

Corin Roddick: Nun, da wir gemeinsam an Songs gearbeitet haben, verstehen wir unsere jeweilige Arbeitsweise viel besser und können uns leichter in den anderen und seine Herangehensweise hineinfühlen. Da wir vorher nie im selben Raum waren, wenn wir Songs schrieben, war jeder für sich in seiner eigenen Zone. Zum ersten Mal in unserer Bandgeschichte und unserer Karriere haben wir gelernt, was es heisst, wirklich mit jemanden zusammenzuarbeiten. Wir wussten bis dahin ja selbst nicht, ob das gutgehen würde, aber waren dann doch sehr erleichtert darüber, dass wir so gut zueinander gefunden haben.

MusikBlog: War dafür mehr oder weniger Kommunikation zwischen euch nötig, da ihr nun am selben Ort wart?

Megan James: Wir reden aber nach wie vor nicht extrem viel miteinander, selbst wenn wir in einem Raum zusammensitzen und über einem Song brüten. Vieles von dem, was wir tun, basiert darauf, dass wir uns automatisch ergänzen.

Corin Roddick: Nicht jeder Song benötigt denselben Grad an Kommunikation. Manchmal verstehen wir uns als Songwriter blind, dann wiederum diskutieren wir über einen längeren Zeitraum hinweg, was die Melodie oder die Texte angeht. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass manche Songs eben nur so zustande kommen und das ist okay. Es wäre schrecklich, wenn wir jedes Mal alles über Bord werfen, nur weil wir nicht sofort ans Ziel kommen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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