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Viel simpler und klarer – Sizarr im Interview

Schon während der ersten Takte des Openers „Clam“ des neuen Albums “Nurture” hört man, dass sich bei Sizarr einiges getan hat. Die perlenden Gitarrenlinien erinnern an The Smiths, der Beat bleibt schlicht und drängelt sich nicht in den Vordergrund, die stilvolle Eleganz der 80er schimmert immer wieder durch. Auch der Rest von „Nurture“ klingt strukturierter und reduzierter als auf dem Debütalbum „Psycho Boy Happy“, das dem Trio aus Landau vor zweieinhalb Jahren viel Lob und einen beachtlichen Hype einbrachte. Wir sprachen mit Schlagzeuger Marc Übel über den neuen Sound und den Mut zur Reduktion, die Schwierigkeiten beim Schreiben und das Konzept hinter dem Albumtitel „Nurture“.

MusikBlog: Ihr habt euch ja ganz schön viel Zeit gelassen zwischen eurem Debütalbum 2012 und dem Nachfolger „Nurture“. Habt ihr so lange geschrieben oder einfach relativ spät angefangen?

Marc Übel: Wir hatten eigentlich vor, recht schnell den Nachfolger aufzunehmen und waren schon wenige Monate nach der Veröffentlichung des Debütalbums im  Proberaum, um zumindest ein bisschen zu brainstormen. Da kam aber irgendwie nichts bei rum, die Skizzen haben wir alle wieder verworfen. Richtig angefangen haben wir dann erst im Sommer 2013.

MusikBlog: Wie kann man sich diesen Schreibprozess denn vorstellen? Eure Musik klingt ja nicht unbedingt, als würde sie in gemeinsamen Jams im Proberaum entstehen.

Marc Übel: Nein, wir saßen meistens zusammen vorm Rechner und haben rumgetüftelt und ausprobiert. Das ähnelt natürlich nur bedingt dem klassischen Jammen einer Band. Das war aber auch zum Teil das Problem. Wir haben uns nämlich sofort auf Sounds gestürzt, über verschiedene Klänge nachgedacht, bevor überhaupt Songs da waren. Am Ende standen wir vor einem riesigen Haufen von Sounds, aber es war noch überhaupt kein Song zu erkennen.

MusikBlog: Deshalb habt ihr das Material wieder verworfen?

Marc Übel: Genau, wir haben dann einen neuen Ansatz versucht, bei dem jeder von uns daheim Sachen ausprobiert hat, da wir eben keine Jam-Band sind und nicht so arbeiten können. So hat jeder an Ideen gesessen, sie weitergereicht und die anderen gaben ihren Senf dazu und entwickelten sie weiter.

MusikBlog: Diese Arbeitsweise war ja wohl auch ein notwendiger Schritt, immerhin seid ihr während der Arbeit an „Nurture“ in verschiedene Städte gezogen.

Marc Übel: Ein großer Teil der Arbeit lief daher über das Internet, aber wir haben uns dazwischen auch immer wieder getroffen, um persönlich über Ideen zu reden und uns auszutauschen. Es lief allerdings zum großen Teil über Filesharing, zumindest in der Endphase. Da waren wir bereits mit allen Songs im Studio und hatten die Grundlagen aufgenommen. Es ging also eher um die Feinheiten, die noch diskutiert werden mussten.

MusikBlog: Hingen die Schwierigkeiten beim Schreiben damit zusammen, dass der Vorgänger „Psycho Boy Happy“ so erfolgreich war und euch auch viel Kritikerlob einbrachte?

Marc Übel: Eigentlich nicht, wir haben uns darüber keine großen Gedanken gemacht und wollten auch gar nicht unbedingt an den Vorgänger anknüpfen. „Nurture“ klingt zumindest für uns ganz anders als das erste Album. Aber wir sind eben seitdem zwei Jahre älter geworden und auch besser in dem, was wir tun. Und das sollte sich auf „Nurture“ dann auch widerspiegeln. Der Druck von außen hat uns aber nicht gestört, da haben wir uns keinen Stress gemacht. Wenn wir darüber auch noch nachgedacht hätten, wären wir verrückt geworden und es hätte noch länger gedauert. (lacht)

MusikBlog: Klingt aber auch, als hättet ihr euch selbst genug Druck gemacht?

Marc Übel: Klar, unser eigener Perfektionismus und unsere eigenen Ansprüche haben den Prozess ziemlich in die Länge gezogen. Wir hatten gehofft, dass dieses Mal alles schneller geht, aber es hat eben wieder ziemlich lange gedauert.

MusikBlog: Ihr habt „Nurture“ genau wie den Vorgänger zusammen mit Produzent Markus Ganter aufgenommen. Wie groß ist sein Einfluss auf den Sound von Sizarr?

Marc Übel: Beim ersten Album war der Einfluss sehr sehr groß, da war er im Prinzip ein viertes Bandmitglied. Es war ja nicht nur unser erstes Album, sondern auch das erste, das er überhaupt produziert hat. Dadurch haben wir sehr viel rumprobiert und sehr viel hineingesteckt. Am Ende vielleicht sogar zu viel…

MusikBlog: Und bei „Nurture“ hatte er nun eher die klassische Produzentenrolle?

Marc Übel: Er hat eher koordiniert und geführt, war aber weit weniger tief involviert. Natürlich hat er immer noch seine Meinung zu den Songs abgegeben, aber sich vor allem um technische Fragen gekümmert: Wie nehmen wir das auf? Wie kriegen wird den Gitarrensound hin?

MusikBlog: Habt ihr erneut Markus produzieren lassen, um für ein wenig Kontinuität beim Aufnahmeprozess zu sorgen?

Marc Übel: Das war natürlich irgendwie der einfachste Weg und es war von Anfang an klar, dass Markus das noch mal machen wollte. Wie gesagt war „Psycho Boy Happy“ für beide Seiten das erste Album und wir sind zusammen gewachsen, haben viel zusammen gelernt. Da hat es dann Sinn ergeben, das fortzuführen, auch weil wir uns kennen. Er weiß, was uns gefällt, was wir mögen und was eher nicht.

MusikBlog: Aber ihr könntet euch für die Zukunft schon vorstellen, mal einen anderen Produzenten mit ins Boot zu holen?

Marc Übel: Ausschließen würde ich das nicht, der Gedanke kam uns bisher einfach noch nicht. Das ist im Hinblick auf die kommenden Alben nichts, was wir von langer Hand planen oder worüber wir uns überhaupt schon wirklich Gedanken gemacht haben. Man weiß nie, was kommt. Vielleicht hat Markus bald keine Zeit mehr für uns, weil er Superstar ist und nur noch Nummer-Eins-Alben produziert. (lacht)

MusikBlog: In eurer Musik vereint ihr ja relativ viele, zum Teil sehr unterschiedliche musikalische Einflüsse. Seid ihr privat drei sehr verschiedene Typen mit unterschiedlichen musikalischen Geschmäckern?

Marc Übel: Wir drei sind auf jeden Fall sehr große Musikliebhaber. Wir hören jegliche Art von Musik und finden eigentlich überall etwas, was wir aus einem Genre für uns rausziehen und verwursten können. Jeder hat natürlich sein Spezialgebiet, sein musikalisches Steckenpferd. Aber insgesamt haben wir schon einen recht ähnlichen Musikgeschmack, einfach weil wir schon so lange zusammen Musik machen.

MusikBlog: Euch wird ja außerdem gern ein sehr internationaler Sound attestiert, dem man nicht anhört, dass ihr aus Deutschland kommt. Trotzdem hattet ihr auf eurem Debüt einen Song namens „Tagedieb“ und bei „Baggage Man“ verstecken sich im Text ein paar deutsche Worte. Versucht ihr so, trotz des internationalen Sounds, etwas lokale Identität in die Musik einfließen zu lassen?

Marc Übel: Es gibt sogar noch eine Stelle auf „Nurture“, bei der Deutsch gesungen wird. Die hat nur  noch niemand entdeckt, die ist aber auch etwas knifflig. Über die Texte kann ich nicht so viel sagen. Ich weiß aber, dass Fabian in den letzten Jahren – also während des Schreibprozesses – viel deutsche Musik gehört hat und sich neu in die Sprache verliebt hat. Er würde allerdings niemals komplett Deutsch singen. Dieses Mal gab es einige Stellen in den Texten, die er nicht perfekt auf Englisch ausdrücken konnte oder die sich nicht wirklich übersetzen ließen. Also hat er einfach die deutschen Worte stehen gelassen.

MusikBlog: Also schreibt Fabian die Songtexte erst auf Deutsch und übersetzt sie dann?

Marc Übel: So habe ich das zumindest verstanden. Er schreibt auf Deutsch und überträgt es dann ins Englische. Und die Stellen, die nicht übersetzt wurden, gefielen Fabian auf Deutsch besser und dann blieben sie eben so. Warum auch nicht? Ob er damit aber noch mehr ausdrücken oder deutlich machen wollte, wo wir herkommen, kann ich nicht sagen.

MusikBlog: Kommen wir zu einem Bereich, in dem du dich als Schlagzeuger besser auskennst. Auf dem Debüt waren perkussive und zum Teil exotische Rhythmen ein wichtiger Bestandteil, auf dem neuen Album treten diese etwas in den Hintergrund – Songs wie „Clam“, „I May Have Lied To You“ oder „You And I“ haben einen eher schlichten, geradlinigen Beat. War es eine bewusste Entscheidung, bei „Nurture“ verstärkt auf andere Elemente zu setzen?

Marc Übel: Beim ersten Album haben wir oft mit dem Rhythmus-Gerüst angefangen, haben außerdem viel mit Polyrhythmik und afrikanischen Elementen experimentiert. Die neuen Songs sind aber zu einem großen Teil auf der Gitarre entstanden und da passten diese Beats dann nicht unbedingt dazu. Es stimmt also auf jeden Fall, dass der Fokus beim ersten Album viel stärker auf Rhythmus lag, es gab viel Getrommel, es klang sehr maximalistisch. Und auf „Nurture“ ist vieles simpler und klarer.

MusikBlog: Also ging es um Reduktion?

Marc Übel: Wir haben uns beim ersten Album einfach ausgetobt, viel ausprobiert, Sounds übereinander geschichtet und es vollgeklatscht.  Wir wollten in jeden Song alles reinbringen, was wir geil finden. Das fanden wir dann im Nachhinein oft zu viel, deshalb sollte der Nachfolger reduzierter und kompakter werden. Außerdem wollten wir auch mehr wie eine Band klingen, etwas weniger auf Samples und zum Beispiel mehr auf Gitarren setzen. Wir sind einfach nur drei Leute und das hört man dem Debüt nicht wirklich an. Für „Nurture“ haben wir Songs geschrieben, die auch in einer kleinen Besetzung sehr gut funktionieren.

MusikBlog: Gab es weitere Veränderungen, die ihr im Vergleich zu „Psycho Boy Happy“ vornehmen wolltet?

Marc Übel: Das hängt mit den bereits erwähnten Änderungen zusammen, aber wir wollten vor allem, dass ein roter Faden erkennbar ist, der sich durch die Songs zieht und uns auf dem letzten Album gefehlt hat. Für uns war jeder Song des Debüts ein riesiger Topf voller Sounds und wir finden uns heute darin selbst nicht mehr zurecht, weil wir wissen, wie viel in jeden Song eingeflossen ist.

MusikBlog: Außerdem erinnert vieles auf „Nurture“ an den Pop der 80er. Habt ihr dieses Jahrzehnt neu für euch entdeckt?

Marc Übel: Fabian und Philipp hatten eine Phase, in der sie sehr viel 80er-Kram und auch Hits von damals gehört haben. Also etwa Kate Bush, Talking Heads und solche Sachen. Und natürlich hat sich das dann auch auf das Songwriting ausgewirkt. Das kann man nicht abstreiten. (lacht)

MusikBlog: Spielt der Albumtitel eigentlich auf die wissenschaftliche Diskussion „Nature versus nurture“ an, die fragt, wieviel unseres Verhaltens angeboren und wieviel anerzogen ist? Immerhin erinnert auch das Artwork an eine wissenschaftliche Skizze.

Marc Übel: Der Titel hat damit eigentlich nichts zu tun. Fabian hat das Cover gemalt und einen Platzhalter für die Striche, die von dem Kopf weggehen, gesucht. Er hat dann „Nurture“ hingeschrieben, aber schlicht und einfach weil es das erste Wort war, das ihm einfiel. Wir hatten zu dem Zeitpunkt zwar bereits einen Namen für das Album, aber uns gedacht: Das passt ja auch super. Und so heißt das Album eben „Nurture“.

MusikBlog: Es war also eine eher zufällige oder zumindest intuitive Entscheidung?

Marc Übel:  Definitiv. Es war der erste Begriff, der Fabian im Zusammenhang mit dem Album einfiel, aber wie genau „Nurture“ zu den Songs passt, war ihm da wohl selbst noch nicht klar.

MusikBlog: Wie seid ihr überhaupt auf die Idee mit dieser medizinisch-wissenschaftlichen Skizze als Artwork gekommen? Das ist ja nicht unbedingt ein typisches Albumcover.

Fabian Altstötter: Ich bin zufällig über ein Bild gestolpert, bei dem der Kopf in verschiedene Bereiche unterteilt war und jeder Bereich benannt wurde, und mir gefiel die Ästhetik des Bildes. Und deshalb hab ich das in ähnlicher Art nachgemacht. Die Frage, die für mich dahinter steht, lautet: Welche Einzelteile machen den Menschen zu dem, was er ist. Diese Frage zieht sich ja auch durch die Songtexte.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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