Es tourt sich schlecht, wenn man tot ist – BC Camplight im Interview

2007 erschien mit „Blink Of A Nihilist“ das zweite Album von BC Camplight und verzückte viele Kritiker und Fans mit psychedelischem Sixties-Pop. Doch dann geriet die Karriere von Brian Christinzio, dem einzigen festen Mitglied von BC Camplight, mächtig ins Schlingern – er verlor seinen Plattenvertrag sowie das Vertrauen in die Musikindustrie und stand am Ende sogar ohne feste Bleibe da. Im Januar kehrte der Songwriter nach fast acht Jahren mit dem Album „How To Die In The North“ zurück, das trotz des düsteren Titels neun zuckrig-süße, üppig instrumentierte Popsongs zwischen den Beach Boys und Rufus Wainwright vereint. Im Interview erklärt uns Brian, wieso ein treuer Fan und ein Umzug nach Manchester dieses Comeback erst ermöglichten und welche Rolle Nicolas Cage dabei spielte.

MusikBlog: Du bist vor den Aufnahmen zu „How To Die In The North“ von Philadelphia nach Manchester gezogen. Was hat dich zu diesem Schritt bewogen?

Brian Christinzio: Irgendwann 2011 war ich obdachlos und lebte in einer leerstehenden Kirche. Ich schrieb keine Songs mehr, scherte mich auch sonst nicht um Musik. Aber dann erinnerte ich mich, dass ich meine besten Konzerte in Manchester hatte, und beschloss: Entweder mache ich komplett Schluss mit der Musik oder ich versuche es noch ein letztes Mal. Also bin ich ohne echten Plan in einen Flieger nach Manchester gestiegen. Ein paar Jahre später stehe ich bei Bella Union unter Vertrag, habe das Album veröffentlicht… Keine Ahnung, wie das alles passiert ist, aber es lief ziemlich perfekt.

MusikBlog: Und bei deinem Umzug hatte auch ein Fan seine Finger im Spiel?

Brian: Genau, dieser Typ schrieb mir mehrmals bei Facebook und bat mich, endlich neue Musik aufzunehmen. Ich überlegte zu dieser Zeit noch, nach London zu ziehen, aber er redete mir das aus: „Scheiß auf London, komm nach Manchester.“ Und er hat mir dann tatsächlich ein Apartment in Manchester besorgt, ich bin dort eingezogen, habe meine neue Band kennen gelernt, ein uraltes und unheimliches Studio entdeckt… Und ja, irgendwie auch meinen Platz gefunden.

MusikBlog: Das klingt, als wäre Manchester nun deine Heimat.

Brian: Das Problem ist, dass ich Amerikaner bin und kein britischer Staatsbürger und daher nicht einfach so dort leben kann. Aber ich bemühe mich darum, das zu ändern. Zurzeit bin ich sowieso auf Tour, im Sommer gebe ich dann auch wieder Konzerte in Amerika. Danach würde ich mich aber gerne dauerhaft in Manchester niederlassen.

MusikBlog: Hat dich Manchester denn auch musikalisch beeinflusst oder inspiriert?

Brian: Ich möchte nicht kitschig klingen, aber Manchester hat einfach alles verändert. Ich hatte das so nicht erwartet, fühlte mich dort aber von der ersten Sekunde an zuhause. Ein Gefühl, das ich zuvor lang nicht mehr hatte. Das Wetter in Manchester ist wirklich grauenhaft, deshalb haben alle ständig schlechte Laune – genau wie ich. (lacht)

MusikBlog: Insgesamt scheint dieser Umzug deinem Leben ja eine sehr positive Wendung gegeben zu haben. Der Albumtitel „How To Die In The North“ deutet aber an, dass du möglicherweise mit selbstzerstörerischer Absicht nach Manchester kamst. Hast du gar nicht mehr an diese Wende geglaubt?

Brian: Der Titel hat natürlich einen ironischen Unterton, aber ich war beim Umzug tatsächlich so verbittert, dass ich die fixe Idee hatte, mein bestes Album aufzunehmen und mich dabei zu Tode zu trinken. Ein wenig wie Nicolas Cage in „Leaving Las Vegas“. (lacht) Ich bin allerdings nicht gestorben und das ist auch gut so. Es tourt sich nämlich schlecht, wenn man tot ist.

MusikBlog: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das diesen Sinneswandel ausgelöst hat?

Brian: Als ich meinen Vertrag bei Bella Union unterschrieben habe, hat sich meine Einstellung zum Leben gewandelt. Während ich die Songs geschrieben und aufgenommen habe, war ich durchgängig wütend und dachte: Verdammt, niemand wird diese Songs jemals hören. Es war genau das Album, das ich immer machen wollte, aber ich hatte eben keinen Plattenvertrag und völlig den Glauben an die Musikindustrie verloren.

MusikBlog: Hast du denn Angst, erneut solch eine Krise zu erleben?

Brian: Vor zwei Monaten war ich zum ersten Mal wieder in Philadelphia, nachdem ich die Stadt zuvor fast drei Jahre gemieden habe. Sofort war alles wieder wie vor dem Umzug, dieselben Gefühle, dieselben Zweifel. Die Tour konnte also gar nicht schnell genug losgehen. Aus irgendeinem Grund bringt Philadelphia meine schlimmsten Seiten zum Vorschein. Ich sollte also unbedingt vermeiden, dort bald wieder zu leben. (lacht)

MusikBlog: Du hast ja gerade erwähnt, wie viel dir der Plattenvertrag mit Bella Union bedeutet. Wie vielen Labels hast du denn dein neues Album geschickt, bevor du die Zusage von Simon Raymonde erhieltest?

Brian: Ich habe nur Bella Union das Album geschickt, weil es das einzige Label war, bei denen ich dieses Album veröffentlichen wollte. Es sollte auf keinen Fall bei einem kleinen chaotischen Label erscheinen, bei dem dann niemand von der Veröffentlichung erfährt. Ich möchte nicht arrogant klingen, aber ich war mir einfach sicher, dass das Album viel zu gut ist, um es so zu verschwenden. Als ich dann zwei oder drei Tage keine Antwort von Simon bekam, wurde ich furchtbar wütend und bockig. Aber dann schickte er eine drei Seiten lange Mail, ging darin auf jeden einzelnen Song ein und erklärte, dass er möchte, dass ich ab sofort ein Teil der Bella-Union-Familie bin. Das war eine riesengroße Erleichterung für mich.

MusikBlog: Zu dieser Familie gehört ja auch John Grant, an dessen Musik „How To Die In The North“ ein wenig erinnert. Spielte das bei deiner Wahl des Labels eine Rolle?

Brian: Ich kannte ihn gar nicht, bevor ich nach Manchester zog. Dort habe ich dann „Queen Of Denmark“ gehört, mochte es sehr und entdeckte auf der Rückseite der Platte das Bella-Union-Logo. Da es wirklich einige Parallelen gibt, dachte ich mir: Wenn sie John Grant mögen, dann mögen sie vielleicht auch mich.

MusikBlog: Du hast eben über „How To Die In The North“ gesagt, dass es das Album ist, das du immer aufnehmen wolltest. Wieso ist dir das nicht mit deinen beiden ersten Alben gelungen?

Brian: Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens hatte ich dieses Mal viel mehr Zeit. Meine ersten beiden Alben entstanden in insgesamt fünf Wochen – das erste in zwei, das zweite in immerhin drei Wochen. Der zweite Grund: Ich habe einfach sehr viel gelebt und erlebt. Als ich jünger war, sagte ein Produzent zu mir: Brian, du wärst wirklich großartig, wenn du mal von einem Hund gebissen würdest. Ich verstehe heute, was er meint. Ich wurde in den letzten Jahren durchgängig von Hunden gebissen. (lacht) Dadurch lernt man viel über sich selbst und das spiegelt sich in meiner Kunst wider. Wenn man sich mein erstes Album anhört, hört man ein hoffnungsvolles Kind. Ich war damals 22. Ich bin auf beide Alben stolz, aber das dritte fühlt sich an, wie der Start des wahren Sounds von BC Camplight.

MusikBlog: Wird deine Musik also besser, wenn es dir schlecht ergeht?

Brian: Es müssen ja nicht nur schlechte Erlebnisse sein, aber man muss ganz allgemein viel erleben, um darüber schreiben zu können. Ich war zwar ein seltsames Kind, wuchs aber sehr gewöhnlich auf. Ich war der Kapitän der Football-Mannschaft, meine Freundin war Cheerleaderin. Alles ziemlich gewöhnlich. Im Gegensatz dazu entstand dieses Album natürlich unter sehr extremen Umständen.

MusikBlog: Auch musikalisch hat sich ja einiges verändert im Vergleich zum Vorgänger „Blink Of A Nihilist“. Das Klavier steht nicht mehr im Fokus, stattdessen spielt die Gitarre eine wichtigere Rolle.

Brian: Genau, der Vorgänger ist im Grunde ein Piano-Pop-Album, ich hielt mich damals auch noch in erster Linie für einen Pianisten. Auf dem neuen Album herrscht eine größere Vielfalt, es ist abwechslungsreicher. Auch psychedelischer und experimenteller, weil ich einfach viel mehr Zeit hatte, Dinge auszuprobieren.

MusikBlog: Die Wut, die du zu dieser Zeit verspürt hast, taucht in den Texten ja immer wieder auf. Die Musik dazu bleibt aber meist sehr gefällig, oft sogar zuckersüß. Spielst du auf „How To Die In The North“ mit diesem Kontrast?

Brian: Ich wollte Musik aufnehmen, die wunderschön klingt, obwohl sie eigentlich sehr verzweifelt ist. Und natürlich haben die Songs auch einen wütenden Unterton, weil ich eben wütend war. Aber ich mag es nicht, meine Wut offen zu zeigen. Deshalb sind die Melodien und die Musik dazu eben wohlklingend, verspielt und sogar fröhlich.

MusikBlog: Obwohl sich die meisten Songs vordergründig um das Thema Liebe drehen, gehen sie damit eher skeptisch oder sogar zynisch um. Zweifelst du an dem Konzept der Liebe?

Brian: Hab ich zumindest sehr lange. Ich beherrsche die große Kunst, mich von Menschen angezogen zu fühlen, die mir nicht gut tun. Ich war zum Beispiel einige Jahre mit einer lesbischen Frau zusammen und du kannst dir sicher vorstellen, wie das ausging… Während „Blink Of A Nihilist“ war ich ebenfalls in einer sehr kaputten und schmerzhaften Beziehung. Ich verstand einfach lange nicht, wie Beziehungen funktionieren oder weshalb sie bei anderen offensichtlich funktionieren. Meine Schlussfolgerung lautete, dass es an mir liegen muss, da es ja offensichtlich dem Rest der Welt nicht schwer fällt, zu lieben.

MusikBlog: Trotz dieser Zweifel klingt die Musik aber sehr ambitioniert und sogar selbstbewusst, jeder Song probiert sich an einer anderen Spielart des Pop. War das eine Art von Trotzreaktion auf diese Krise?

Brian: Das hängt einfach damit zusammen, wie mein Hirn funktioniert. Ich hatte schon immer eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und langweile mich schnell. Deshalb klingt meine Musik ein wenig schizophren und wirkt auf manche Menschen vielleicht chaotisch, aber da würde ich definitiv widersprechen. Das Album spiegelt einfach wieder, wie ich bin, und da ich schnell das Interesse verliere, wendet sich die Musik ständig neuen Dingen zu.

MusikBlog: Deine Musik ist ja stark von den 60ern und 70ern beeinflusst und von Künstlern wie Brian Wilson, Randy Newman, Harry Nilsson oder The Left Banke. Hörst du hauptsächlich ältere Musik?

Brian: Ja, schätze schon. Die Plattensammlung meiner Mutter hat mich als Kind sehr beeinflusst und da waren viele Künstler dabei, die du gerade erwähnt hast. Ich bin ein Fan von Melodien und einfachen Songs, so Tin-Pan-Alley-Sachen. Mein Vater hatte viele Opern-Platten, vielleicht klingt meine Musik deshalb manchmal so überladen und dramatisch – wobei das ja dann immer ironisch gebrochen wird. Im Grunde reicht meine Inspiration von Jerry Lee Lewis bis zu den frühen 70ern.

MusikBlog: Schwingt da auch eine gewisse Ablehnung der aktuellen Popmusik mit?

Brian: Ich rede da nicht gerne drüber, weil ich nicht wie ein Idiot klingen möchte. Aber ich bin so genervt davon, dass jeder gleich klingt und sogar gleich klingen möchte. Diese ganzen Genres und musikalischen Szenen hab ich nie verstanden. Irgendeine Band nimmt was auf und ab dann versuchen alle anderen, genauso zu klingen. Warum? In Philadelphia passierte genau das, während ich dort lebte. Plötzlich klang alles gleich und war damit furchtbar langweilig. Zum Glück war es mir immer ziemlich egal, was andere über mich denken. Deshalb nehme ich auf, was immer mir gerade durch den Kopf schwirrt und nicht etwas, was Pitchfork vielleicht mögen könnte.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview!

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