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Es sollte auch für Bücher Soundtracks geben – Bonaparte im Interview

Tobias Jundt ist Bonaparte. Mit der Musik zu dem Film „Becks Letzter Sommer“ legte er jetzt seine erste Filmmusik vor. Und während Bonaparte bislang eher für extrovertiert wilde Live-Shows und punkigen Hedonismus standen, lebt Jundt in dem Soundtrack seine Musikalität auf einer viel breiter gefächerten Ebene aus. In der Geschichte um den ehemaligen Rockmusiker und in seinem sicheren Beruf als Lehrer versauernden Robert Beck (Christian Ulmen), der in seinem Schüler Rauli (Nahuel Pérez Biscayart) ein großes Rock ‚n‘ Roll-Talent entdeckt, ist Musik mehr als nur bloße Klanguntermalung. Sie ist ein elementarer Bestandteil des Films. Die Songs und Kompositionen des Films haben sogar so viel Eigengewicht, dass der in Berlin lebende Schweizer das dazu gehörige Soundtrack-Album auch als ein eigenständiges, wenn auch ungewöhnliches Bonaparte-Album sieht. Und es sogar als Weg zu einer möglichen stilistischen Weiterentwicklung von Bonaparte betrachtet. Wir sprachen mit ihm über den Film, das Album, die Zukunft von Bonaparte und Einiges mehr

MusikBlog: Ich nehme an, dass Du den Film inzwischen schon einige Male gesehen hast. Was ist das für ein Gefühl, wenn man seine Musik im Kino in einem Film hört?

Tobias Jundt: Die Premiere in Berlin war wirklich schön. Da gab es ein richtig gutes Soundsystem. Richtig fett. Das habe ich genossen. Das war noch mal richtig groß, fett, tief und bunt. Aber jetzt will ich den Film erstmal längere Zeit nicht mehr sehen. Das Ding ist ja leider, dass man ihn schon so oft gesehen hat. Es ist halt immer so, dass man nach einer Produktion den Punkt der Sättigung schon lange überschritten hat. Das ist schon schade. Aber bei der Premiere saßen zwei mir liebe Menschen neben mir, die ihn noch nicht gesehen hatten. Das war schön. Zu wissen, dass sie das jetzt zum ersten Mal sehen und hören. Zu hören, wo sie lachen. Aber vielleicht werde ich ihn mir in zehn Jahren wieder unvoreingenommen ansehen können.

MusikBlog: Wie kam es zu dem Auftrag, die Musik für „Becks letzter Sommer” zu schreiben?

Tobias Jundt: Frieder Wittich, der Regisseur, kam 2008 bei einem Bonaparte Konzert auf mich zu und sagte mir, dass er gerade dabei ist, sein Filmstudium zu beenden und seinen ersten Film drehen würde. Und er wollte, dass wir darin auftreten. An einem Day-Off während der Tour haben wir das dann gemacht. Er hatte auch noch keinen Soundtrack für den Film. Deshalb habe ich ihm auch noch ein paar Songs geschrieben. So haben wir uns also damals kennengelernt.

MusikBlog: Davon abgesehen ist es jetzt Deine erste richtige Filmmusik. Was hast Du für Erfahrungen zum Beispiel in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Regisseur gemacht. Gab es strikte Vorgaben von Frieder Wittich? Wie groß war sein Einfluss auf die Musik?

Tobias Jundt: Mit ihm zu arbeiten, war sehr intensiv, aber auch sehr super. Und weil er mich schon kannte, hat er mir viele Freiheiten gelassen. Er wollte ja, dass Bonaparte bzw. ich die Musik für den Film mache. Das hat dann dazu geführt, dass Dreiviertel der Sachen, die ich ihm vorgespielt habe, auch direkt genommen wurden. Es gab aber auch ein paar Fälle, wo er sagte „Hm, das ist irgendwie zu viel Hollywood“. Und dann habe ich das noch einmal überarbeitet.

MusikBlog: „Becks letzter Sommer“ dreht sich um zwei Musiker. Logischerweise ist Musik damit das tragende Element im Film. Das ist definitiv eine andere Vorgabe, als wenn man für nur eine eher atmosphärische Untermalung von Szenen schreiben muss. Wie hat sich das bei der Arbeit konkret für Dich dargestellt?

Tobias Jundt: Es war schon eine sehr komplexe Sache. Man hat im Prinzip auf drei Ebenen Musik. Es gibt die Songs, die die Schauspieler im Film performen. Oder zumindest so tun, als würden sie es. Bei dem Jungen, also der Rolle des Rauli, ist es übrigens meine Stimme und auch mein Gitarrenspiel. Und dann gibt es die Sources. Also Musik, die irgendwo im Hintergrund läuft, im Autoradio, in einer Bar und so. Und dann gibt es noch den eigentlichen Score. Also die klassische Filmmusik. Da steckt eigentlich gar nicht so viel drin. Aber das ist gerade das Schöne. Man kann schön episch mit Streichern rumspielen. Wie zum Beispiel in einer Kussszene. Im Film löst quasi das eine Musikstück das nächste ab. Von neunzig Minuten Film, ist in sechzig Minuten Musik dabei. Und es hat auch eine Weile gedauert, sie zu schreiben. Der Soundtrack ist tatsächlich über eine Zeitspanne von zwei Jahren entstanden und das bedeutete, dass ich schon sehr früh mit dem Schreiben der Musik anfangen musste.

MusikBlog: Musikalisch musstest Du also manchmal auch im Spagat denken und schreiben? Wie zum Beispiel bei den Songs, die Robert Beck mit seiner alten Band Cash Punk performt hat?

Tobias Jundt: Ja, ich musste unter anderem Songs schreiben, die er, also Christian Ulmens Charakter, vor zehn Jahren geschrieben hat. Er ist ja im Film schon zehn Jahre älter. Aber am Ende ist es auch meine Platte, es steht ja Bonaparte drauf und musste also auch meine Handschrift haben.

MusikBlog: Somit muss man sich also quasi als Musiker wie ein Schauspieler in einen anderen Charakter reindenken?

Tobias Jundt: Das macht man als Künstler ja eigentlich immer. Auch als Musiker. Imagination ist in jeder Kunstform relativ vorteilhaft und grundlegend.

MusikBlog: Christian Ulmen hat auf manchen Stücken auch selber gesungen. Wie hat er sich dabei so geschlagen?

Tobias Jundt: Er hat das sehr gut gemacht. Aber er musste ja auch singen. Das ist ja auch im Roman und somit im Film schon so vorgegeben. Und er geht jetzt auch in die Geschichte ein, als erster Mann, der außer mir, auf einer Bonaparte-Platte Lead-Vocals singt. Das gab es bis jetzt noch nie. Na gut, ausgenommen „Alles Schon Gesehen“, bei dem Deichkind mitgemacht haben.

MusikBlog: Was würdest Du sagen, hast Du sonst noch an Erfahrungen aus „Becks Letzter Sommer“ gewonnen?

Tobias Jundt: Ein Soundtrack ist noch einmal spezieller, als wenn man einfach ein paar Songs schreibt. Es erfordert ein Maximum an Empathie, Kreativität und gleichzeitig auch ein analytisches Denken. Ein berechnend, strukturiertes Denken, weil das was man macht, ja in einem Film funktionieren muss. Das ist auch irgendwo immer auch Mathematik. Gut, das ist Musik als solche ja sowieso.

MusikBlog: Die Filmmusik ist ein Aspekt. Du hast in die Songs aber auch den Ehrgeiz gesetzt, dass sie auch unabhängig vom Film als selbstständiges Album funktionieren können. Das es somit auch ein echtes Bonaparte-Album ist.

Tobias Jundt: Ich bin wirlich happy, dass ich diese Arbeit auch noch reingesteckt habe. Der Film war fertig und eigentlich ist man schon übersättigt und will die Sachen nicht mehr hören. Aber ich habe mir trotzdem gesagt: „Ok, die Filmversion ist das eine. Aber so kann man es trotzdem nicht rausbringen. Jetzt mache ich daraus dann auch noch ein richtiges Album”. Und ich habe mir jedes Lied für sich noch einmal vorgenommen. Und ich bin froh, dass ich es gemacht habe, weil als Album hat der Soundtrack dann noch einmal eine ganz andere Dramaturgie.

MusikBlog: Das Spannende daran ist, dass es ein sehr untypisches, durch seine Vielfalt ein sehr vielschichtiges Bonaparte-Album geworden ist.

Tobias Jundt: Das Album ist stilistisch und dynamisch schon ein breitgefächertes Ding. Es gibt mal Punk, mal Sixties, mal Elektronisch, mal Folk, mal Progressiv-Jazz usw. Aber irgendwie funktioniert es. Ich weiß auch nicht warum. (lacht). Ich habe auch viel mit dem Autor Benedict Wells diskutiert. So wie er aufgebaut ist, funktioniert der Soundtrack sowohl zum Roman als auch zum Film. Und das finde ich spannend. Ich finde, es sollte auch für Bücher Soundtracks geben.

MusikBlog: Im Film und auf dem Soundtrack-Album gibt es auch eine Cover-Version von „Seven Nation Army“ von den White Stripes. Wie kam’s dazu?

Tobias Jundt: In der Romanvorlage spielt Rauli ja eigentlich „Wonderwall“ von Oasis. Und ich bin eigentlich relativ froh, dass wir die Rechte daran nicht bekommen haben. Sonst hätte ich das auch noch aufnehmen müssen (lacht). Das hätte ich nicht covern wollen. Aber ich wusste, dass es ein berühmtes Cover sein musste. Und „Seven Nation Army“ haben wir bekommen. Ich hatte einen Kontakt zu Jack White’s Management und deshalb hat das geklappt. Jedenfalls durften wir im Film vierzig Sekunden verwenden. Das hat aber genau für die Szene gereicht. Schon krass. (lacht)

MusikBlog: Du hast den Song aber nicht nur einfach gecovert, sondern durch ein eigenwilliges, langsames Arrangement neu interpretiert.

Tobias Jundt: Ich hätte das Lied auch nie im Leben gecovert. Aber es war eben für eine wichtige Szene im Film. Der Moment, in dem Beck merkt, dass Rauli ein talentierter Musiker ist. Für das Soundtrack-Album wollte ich es aber nicht nur langweilig mit Gitarre und Gesang covern. Ich habe eine Kirchenorgel aufgenommen und die Gitarre bis zum ersten Refrain raus gelöscht. Am Anfang gibt es also nur Pedalbass und Melodie. Viele Leute erkennen den Song dadurch zuerst nur am Text. Ich hab‘ versucht, den Text umzusetzen und nicht einfach das Riff runterzureiten. Das war auch so eine Sache. So wie der ganze Soundtrack. Man ist gezwungen, Dinge zu tun, die man sonst nie gemacht hätte. Und man sagt sich „Ok, lass mal gucken, was wir da rausholen können“.

MusikBlog: Wie siehst Du den Soundtrack im Kontext der anderen Bonaparte-Alben? Ist es jetzt eher ein kleiner Seitentrip oder ein hundertprozentiges Bonaparte-Album?

Tobias Jundt: Ich finde, es bereichert dieses Oeuvre. Und ehrlich gesagt, ist es für mich im Moment das spannendste Album. Es ist natürlich nicht das typischste Bonaparte-Album. Aber bisher habe ich eigentlich noch nicht richtig Platten gemacht. Ich habe sie gemacht, um damit auf Tour gehen zu können. Es war ein physisches Konzept. Physisch mit der Musik an die Grenzen zu gehen und dann noch eine Stunde weiter zu spielen. Das war mein Konzept. Es war wunderbar. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, spüre ich das im Moment nicht mehr so. Ich habe eher das Gefühl, dass jetzt eine Phase kommt, in der ich mir vorstellen könnte, das Studio intensiver zu nutzen. Aber was wird Bonaparte in zehn Jahren sein? Ich weiß es natürlich nicht.

MusikBlog: „Becks Letzter Sommer“ klingt definitiv anders als die anderen Bonaparte-Alben. Würdest Du sagen, dass die Arbeit an dem Soundtrack generell noch länger in Deiner Musik nachklingen wird?

Tobias Jundt: Früher war eher alles immer im roten Bereich. Aber bei dieser Platte kommt zum ersten Mal Dynamik mit ins Spiel. Ganz sanft bis ganz intim. Laut bis leise. Nah bis fern. Bonaparte war immer nah. Absolut trocken. Jetzt gibt es große, helle Räume. Es hat Breite und Tiefe. Dynamik auf allen Ebenen. Ich bin wirklich noch nie so in die Tiefe gegangen wie bei diesem Album. Ich bin immer wieder ran und hab‘ nicht lockergelassen. Und ich glaube schon, dass mich das auch auf längere Hinsicht beeinflussen wird. Für mich ist Bonaparte wirklich eine Reise. Es ist eben mein Leben. Und ich entwickele mich natürlich auch weiter.

MusikBlog: Welche Filmkomponisten schätzt Du selber?

Tobias Jundt: Nino Rota und Ennio Morricone zum Beispiel. Ich habe die Italiener schon immer gemocht. Und Besonders Nino Rota und seine Musiken zu den Fellini Filmen. Das ist halt: Wow! Auch Hollywood-Komponisten wie Hans Zimmer sind schon irgendwie spannend. Aber eigentlich habe ich Franzosen und Italiener da schon immer mehr gemocht, weil sie viel eigener waren.

MusikBlog: Aus Deinen Worten kann man jedenfalls raushören, dass es für Dich ein intensives und bereichendes Erlebnis war, diese Filmmusik zu schreiben. Sprich, wird es noch mehr Soundtracks von Bonaparte geben?

Tobias Jundt: Ich bin mir sicher, dass das nicht der Letzte ist. Dafür liebe ich das zu sehr. Ich war schon immer ein Film- und Filmmusiknerd. Ich liebe das wirklich. Und selber einen Soundtrack zu schreiben, ist schon eine sehr schöne Sache.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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