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Menschlichkeit und Empathie kippen bei uns schnell ins Unheimliche – Health im Interview

Sechs Jahre nach dem letzten regulären Studioalbum „Get Color“ haben sich Health von der Noise-Szene ihrer Heimat Los Angeles emanzipiert und klingen auf „Death Magic“ größer, melodischer und poppiger. Der Krach und das Chaos der kompromisslosen ersten beiden Alben lauern zwar immer noch unter der glänzenden Oberfläche und brechen in den harscheren Momenten hervor, dennoch erinnern die Songs über weite Strecken eher an den düsteren Synthie-Pop der 80er. Auch die Arbeit am Soundtrack für das Videospiel „Max Payne 3“, den das Quartett 2012 komponierte, hat auf „Death Magic“ seine Spuren hinterlassen und sorgt immer wieder für eine epische, beinahe filmische Atmosphäre. Wir sprachen mit Frontmann und Sänger Jake Duzsik über den neuen Sound seiner Band, die Unterschiede zwischen der Arbeit an einem Soundtrack und einem Album, und den Einfluss der Techno-Szene auf „Death Magic“.

MusikBlog: Zwischen eurem letzten Album „Get Color“ und dem aktuellen Werk habt ihr den Soundtrack zu dem Videospiel „Max Payne 3“ komponiert. Hat diese Erfahrung den neuen Sound auf „Death Magic“ beeinflusst?

Jake Duzsik: Absolut. Wir mussten für das Spiel sehr viel Musik aufnehmen und dabei auch viele Stimmungen und Stile abdecken. Außerdem schrieben wir für den Soundtrack sehr melodische Songs, was für uns bis dahin eher untypisch war. Wir greifen jetzt auch auf eine Vielzahl unterschiedlicher Sounds zurück. Denn wenn du drei Stunden Musik aufnimmst und nicht nur ein halbstündiges Album, dann benötigst du natürlich viel mehr Klänge, um dich nicht ständig zu wiederholen. Das alles hat uns bei „Death Magic“ beeinflusst und weitergeholfen.

MusikBlog: Auch beim Songwriting geht man bei einem Soundtrack ja sicherlich anders vor, als wenn man Songs für ein Album schreibt?

Jake Duzsik: Bei „Max Payne“ haben wir uns Videosequenzen der einzelnen Szenen angeschaut und dann die Musik dazu geschrieben. Auf diese Weise konnten wir immer die Stimmung der jeweiligen Ausschnitte einfangen. Das ähnelt stark der Art, wie man den Score zu einem Film schreibt. Da spielen dann viele Faktoren eine Rolle: Spielt die Szene bei Tag oder bei Nacht? Im Freien oder in geschlossenen Räumen? In der Natur oder in einer urbanen Umgebung? Außerdem gibt es immer wieder Suspense-Momente, in denen der Spieler umherläuft und wartet, dass etwas passiert. Da hat dann die Musik die Aufgabe, diese Spannung aufzubauen. So schreibt man natürlich keine Songs für ein Album – oder zumindest wir nicht.

MusikBlog: Dennoch erinnert beispielsweise der Opener „Victim“ mit seinem epischen Beginn und den bedrohlichen Bässen durchaus an Soundtracks, vor allem an Hans Zimmers Score für „Inception“.

Jake Duzsik: Vermutlich wurden wir überhaupt erst gefragt, ob wir den Soundtrack zu „Max Payne“ schreiben wollen, weil wir schon immer atmosphärische Elemente in unserem Sound hatten. Mit „Victim“ wollten wir außerdem ein Statement abgeben, was wir auf dem restlichen Album so vorhaben. Nach dem Motto: Es wird mehr elektronische Sounds geben! Die Produktionen werden größer und ambitionierter! Deshalb arbeiteten wir zusammen mit Haxan Cloak an diesem Song, weil seine Musik diese großen, epischen Klanglandschaften erschafft und wir Fans seiner Arbeit sind. Im Prinzip ist es also unsere Version von einem Hans-Zimmer-Score.

MusikBlog: „Death Magic“ erscheint sechs Jahre nach eurem letzten Album. Brauchtet ihr nach „Get Color“ eine längere Schaffenspause?

Jake Duzsik: Ich wünschte, es gäbe eine wirklich tolle Geschichte, warum wir so lange gebraucht haben. Dass ich Einsiedler wurde, in eine Hütte zog und mein eigenes Essen anbaute. Oder dass Jupiter im Gefängnis landete. Aber nichts dergleichen ist passiert. Die schlichte Wahrheit lautet, dass wir zwei Jahre nach „Get Color“ mit unserem nächsten Album beginnen wollten, weil das unserem Albumzyklus entspricht. Das war allerdings genau der Zeitpunkt, an dem uns Rockstar Games den Soundtrack zu „Max Payne 3“ anbot. Daran haben wir 14 Monate gearbeitet, teilweise zwölf Stunden pro Tag. Im Anschluss fühlten wir uns ziemlich ausgebrannt. Vor allem wollten wir aber ein Album veröffentlichen, das sich komplett richtig anfühlt und anhört und mit dem wir zu hundert Prozent zufrieden sind. Als wir dann allerdings den richtigen Ansatz, das richtige Studio und die richtigen Leute, mit denen wir zusammen arbeiten wollten, gefunden hatten, ging alles ziemlich schnell.

Wenn du drei Jahre lang kein Album veröffentlichst, drehst du irgendwann durch. Nach vier Jahren hast du Angst. Aber ab fünf Jahren ist es dir scheißegal, weil du dir denkst: Was macht es jetzt noch für einen Unterschied, wie lange wir brauchen? (lacht) Trotzdem würde ich diesen Plan keiner Band empfehlen, auch wenn es für uns letztlich funktioniert hat.

MusikBlog: In sechs Jahren verändert sich ja auch die popmusikalische Szene um einen herum. Neue Trends kommen auf und verschwinden wieder.

Jake Duzsik: Absolut. In dieser Zeit sind viele Dinge passiert, die wir spannend finden und die wir integrieren wollten. Die Evolution der elektronischen Musik, die Entwicklungen im Mainstream- und Untergrund-Rap. Wenn man sich heute den kommerziellen Hip-Hop im Radio anhört, klingt der viel experimenteller als fast alles, was gerade im Indie- und Alternative-Bereich passiert. Da basieren Songs nur auf einem Gesangs-Loop und einem schrägen, extrem minimalistischen Beat und folgen auch nicht mehr den regulären Song-Strukturen aus Strophe, Refrain und Bridge.

MusikBlog: Also klingt ihr auf eurem neuen Album auch anders, weil sich die Musikszene um euch herum verändert hat?

Jake Duzsik: Wir selbst haben das Gefühl, dass sich unser Sound auf eine sehr natürliche Art und Weise weiterentwickelt hat. Von „Die Slow“ zu „USA Boys“ und dann „Tears“ für den Soundtrack. Wenn du diese Songs hintereinander hörst, erkennst du die Entwicklung und sie ergibt Sinn – zumindest für uns. Wir wollten nie ein Album veröffentlichen, das wie das vorherige klingt. Erst recht nicht, wenn zwischen beiden Alben sechs Jahre liegen.

MusikBlog: Euer neues Album erinnert mit seinem geradlinigeren, melodischeren und elektronischen Klängen außerdem an die beiden Remix-Projekte „Disco“ und „Disco 2“, die ihr zu den ersten beiden Alben veröffentlicht habt. Hatten diese Remixe ebenfalls Einfluss auf euren neuen Sound?

Jake Duzsik: Es gibt dir immer eine neue Perspektive auf deine Musik, wenn andere Künstler diese in einen neuen Kontext setzen. Zum Beispiel sahen wir uns bei unserem Debütalbum noch als eher klassische Noise-Rock-Band, haben dann aber durch „Disco“ erkannt, dass diese Songs auch mit einem reduzierteren, elektronischen Arrangement funktionieren. Uns wurden dadurch unsere kompositorischen Möglichkeiten bewusst. Wir können melodischere Songs schreiben, weil viele Remixe diese melodischen Aspekte hervorhoben und das funktionierte. Wir können perkussive elektronische Klänge integrieren, weil das auch viele Remixe erfolgreich taten.

MusikBlog: Und plant ihr auch zu „Death Magic“ ein weiteres Remix-Album?

Jake Duzsik: Wir haben diesen Plan, allerdings hat sich die Remix-Kultur sehr verändert, seit wir das erste Album veröffentlicht haben. Während der Blog-House-Explosion waren Remixe sehr aufregend, doch seitdem hat sich diese Szene ziemlich gewandelt. Wir werden nur dann ein weiteres Remix-Album veröffentlichen, wenn wir von den Ergebnissen auch wirklich überzeugt sind.

MusikBlog: Ihr spielt ja auf eurer kommenden Europa-Tour auch im Berliner Berghain und einige neue Songs wie „Flesh World (UK)“ mit seinem harschen Beat erinnern an den Berliner Techno-Sound. Interessiert ihr euch für diese Szene?

Jake Duzsik: Auf jeden Fall. Wir haben einen ziemlich breit gefächerten Musikgeschmack und besonders John hört viel Techno und House und hat viele Freunde, die DJs sind. In Los Angeles gibt es zurzeit eine sehr aktive Untergrund-Szene, die Partys in alten Fabrikhallen veranstaltet. Als wir Health gründeten, gab es die Noise-Rock-Szene rund um „The Smell“ und diese wurde in den letzten Jahren von jener neuen Bewegung abgelöst. Und ich denke, dass die Berghain-Szene als Inspiration für diese Bewegung diente.

MusikBlog: Ist „Death Magic“ damit eure Tanzplatte?

Jake Duzsik: Viele Leute nennen es schon unser Tanzalbum, allerdings haben die meisten Songs klassisches Rock-Tempo – so ungefähr 100 bpm. Ich würde es eher ein modernes Rockalbum nennen, das auch Elemente von Tanzmusik integriert. Selbst das angesprochene „Flesh World (UK)“ ist kein echter Dance-Track, dafür ist die Struktur des Songs viel zu schräg.

MusikBlog: Du hast ja bereits Haxan Cloak erwähnt und mit Lars Stalfors (Mars Volta) und Andrew Dawson (Kanye West) habt ihr noch zwei weitere namhafte Gäste auf eurem Album. War es das erste Mal, dass ihr zusammen mit anderen Künstlern Songs für Health geschrieben habt?

Jake Duzsik: In gewisser Weise schon. Allerdings ist Haxan Cloak der einzige Musiker in dieser Liste, die anderen haben als Produzenten mitgewirkt. Und natürlich haben wir schon mit Produzenten zusammen gearbeitet. Im Indie-Rock existiert diese schräge Idee, dass man als Band unbedingt totale Kontrolle über den kreativen Prozess behalten muss, damit die Musik echt klingt. Dabei entstand ein großer Teil der relevanten Popmusik als Zusammenarbeit zwischen Künstlern und deren Produzenten – egal ob man Rap, Rock oder Pop betrachtet. Natürlich weißt du als Band am besten selbst, wie deine Musik klingen soll. Aber du kannst nicht davon ausgehen, dass du so gut wie ein Produzent darin bist, ein gutes Album zu erschaffen. Das ist nun Mal sein Job und du solltest offen dafür sein, diese Hilfe auch anzunehmen.

MusikBlog: Du sprachst ja bereits über die Entwicklung eures Sounds und wie wichtig es für euch als Band ist, euch nie zu wiederholen. Habt ihr dennoch manchmal Angst, dass ihr bei so vielen Veränderungen eure musikalische Identität und Kohärenz verliert?

Jake Duzsik: Bei „USA Boys“ haben wir uns schon kurz gefragt, ob das zu weit geht oder zu poppig klingt. Und bei „Max Payne 3“ war es natürlich auch die Frage, ob wir so etwas grundsätzlich machen wollen. Aber wirklich Sorgen hat uns das nie bereitet, auch weil unsere Fans da immer sehr offen schienen.

Wenn man als Band fest in einer Genre-Schublade steckt, herrscht immer die Gefahr, dass dieses Genre irgendwann nicht mehr populär ist und sich niemand mehr für dich interessiert. Sobald man sich von diesen Bezeichnungen und Genres allerdings befreit, fällt es Hörern zwar vielleicht schwerer dich einzuordnen, aber man kann sich musikalisch austoben und ist nicht mehr so sehr an bestimmte musikalische Trends gebunden.

MusikBlog: Trotz all dieser Veränderungen verwendet ihr dennoch immer wieder die Phrase „You will love each other“ aus „Diet For A New America“ von John Robbins als Slogan. Warum ist diese Zeile zu eurem Markenzeichen geworden?

Jake Duzsik: Es hat überhaupt nichts mit dem Buch und dem Thema Vegetarismus zu tun, auch wenn die Zeile ursprünglich daher stammt. Stattdessen funktioniert der Slogan ähnlich wie unsere Songtitel. Die sind auch stets kryptisch und haben meist keinen direkten Bezug zu dem Song, sondern funktionieren auf einer assoziativen Ebene. Auch unser Bandname ist ja ein Wort, das man ständig überall liest und hört. Aber wenn man es aus diesen Kontexten reißt und in Versalien schreibt, bekommt es eine ganz seltsame, fast befremdliche Note. Mit einem Satz wie „You will love each other“ assoziiert man zunächst Wärme, Menschlichkeit und Empathie, doch in Zusammenhang mit unserer Musik kippt das schnell ins Unheimliche.

MusikBlog: Ein weiterer Satz, der zunächst sehr warm und positiv klingt, stammt aus eurer Single „New Coke“: „Life is good.“ Zusammen mit der Musik und den sich übergebenden Menschen im Video erhält aber auch dieser Slogan eine zumindest ambivalente, wenn nicht gar zynische Wendung. Ist „Death Magic“ ein zynisches Album?

Jake Duzsik: Nein, die Texte sind nicht zynisch, sondern einfach ehrlich in Bezug auf bestimmte Dinge. Ich bin Existentialist und glaube nicht daran, dass nach unserem Leben hier auf Erden irgendeine Art von Belohnung auf uns wartet oder dass es so etwas wie eine kosmische Moral gibt. Stattdessen sind wir hier, bis wir sterben, ohne genau zu wissen warum. Aber gleichzeitig existieren all diese magischen Dinge wie Musik, Drogen, Sex, Liebe oder Freundschaft. Sie bedeuten zwar womöglich überhaupt nichts, dennoch sind wir hier und erleben sie. Es geht also eher um die Dichotomie des Lebens. Es passieren überall und zu jeder Zeit schreckliche Dinge und gleichzeitig auch sehr viele gute. Manche Menschen haben Glück und werden reich, gesund und privilegiert geboren, andere haben sehr viel Pech. Auch das Video „New Coke“ soll diese Gegensätzlichkeit zeigen. Die Charaktere dort haben eine gute Zeit und feiern eine wilde Party, aber sie haben eben deshalb eine gute Zeit, weil sie sich mit Drogen betäuben und so nicht über diesen ganzen Mist nachdenken müssen. Und vielleicht ist das auch manchmal besser so.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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