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Anna von Hausswolff – The Miraculous

Wenn das Stimmungsbarometer bei dem Gedanken an trübe Herbsttage in den Keller sinkt und die knappe UV-Ausbeute ihr Übriges zur melancholischen Grundstimmung beiträgt, kommen als Soundtrack zu dieser Jahreszeit durchaus Anna von Hausswolff Platten in Frage. Pünktlich erscheint jetzt ihr dritter Streich auf dem der Funeral-Pop seiner Vorgänger von einem Breitwand-Epos voller Mystik abgelöst wird.

Von den tiefen Wäldern Schwedens, in denen das sagenumwobenen Miraculous (Geburtsstätte landestypischer Folk-Musik und Schlachtfeld niedergemetzelter Bauernaufstände) versteckt sein soll, der Suche nach dem Ursprung des Lebens im Buch „Källan“ von Walter Ljungquist und dem apokalyptischen Gleichnissen im Weltkriegs-Drama „Komm Und Sieh“ von Elem Klimov inspiriert, entwickelt die Schwedin von Hausswolff ein intensives Werk, in dem der Schmerz über die blutgetränkte Erde ihrer Heimat so physisch vorhanden scheint wie ihre Liebe zu den verwunschenen Orten, die eingebettet in der überwältigenden Schönheit der Natur im Norden Europas liegen.

Dabei startet der Opener verhältnismäßig spielerisch, über bedeutungsvolle schwebenden Synthesizerteppichen klingelt eine Menge Schlagwerk, mit den zugehörigen Gitarren-Parts positioniert sich „Discovery“ damit in guter Nachbarschaft zu „Tubular Bells“ von Mike Oldfield.

In Fahrt kommt die Wahl-Kopenhagenerin ab dem folgenden „The Hope Only Of Empty Men“, wenn sie die dunkle Seite der 9.000-Pfeifen Orgel aus der Kirche des nordschwedischen Urlaubsortes Piteå bearbeitet, ihr bedrohlich lautes Stöhnen und Knarren entlockt, zum Bombast neigende Melodien generiert und das Klang-Monster als malmende Rhythmus-Maschine einsetzt.

Nicht nur während „Pomperipossa“ orgelt sich Anna fortan auf ihrem Hausinstrument den Wolf, ihre Band indessen scheint auf dem Musik-Konservatorium den Leistungskurs Moll belegt zu haben und folgt kongenial den Vorgaben der Organistin.

Opus-Magnum der Platte bildet „Come Wander With Me/Deliverance“. Das Stück ist nicht nur überwältigend, sondern auch überwältigend anstrengend, indem die Abwärtsspirale aus Leid, Abschied und Tod als dramatische Endzeit-Vision zelebriert wird. Die schweren Post-Rock Riffs türmen sich zu einem Noise-Ungetüm von Swans`schem Ausmaß auf, scheint die Wucht des Tasten-Spiels der Tochter von Sound-Artist Carl Michael von Hausswolff sich in nordischer Kombination mit den brachialen Klang von Get Your Gun zu vereinigen, um das Stück später als David Gilmour Art-Rock Kollage ausklingen zu lassen.

Nach diesem über 10-minütigen Kraftakt wird erst einmal durchgeatmet. „En Ensam Vandrare“ klingt nach den vorsichtigen Schritten des einsamen Waldläufers auf dem Blocksberg, „An Oath“ kommt klassischem Songwriting am nächsten, „Evocation“ spielt sich für die nächste Aufgabe warm. Wenn die Kopfstimme von Hausswolffs den Track gleich der entweichenden Luft aus einem Ballon verlässt, steht ein dicker Brocken noch aus: Das Titelstück sucht nach dem geheimnisvollen Miraculous, irrt im Wald voller Trolle umher, knarzt und ächzt dabei, taumelt über Schlacht- und Gräberfelder beständig in Richtung weißes Licht.

Ist dieser Trip überstanden, klingt das abschließende „Stranger“ so klar, als hätte sich alles Beklemmende durch diesen läuternden Kraftakt aufgelöst, wenn man die Welt dahinter auch erst einmal als Fremder erlebt.

Ein Album so groß wie das Instrument, auf dem es hauptsächlich eingespielt wurde.

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