„Ich kann sie nicht fassen. Ich kann sie einfach nicht fassen.” Zitatschnipsel eines Zuschauers am Ende des Abends in der Garderobenschlange. Vor ähnlichen Herausforderungen steht man, will man beschreiben, was das gestern für ein fabulöser Abend war.

Ok, Joanna Newsom spielt entweder an der Harfe oder am Klavier höchst eigensinnigen und märchenhaft anmutenden Art-Folk, wird hier und da mal mit einem Keyboard unterfüttert, oder einem Banjo oder einer Gitarre oder einer Geige, ab und an auch mal ein wenig Schlagzeug. Aber das allein ist es nicht.

Bei der Newsom muss man ein wenig weiter ausholen. Sie sprengt schlicht die Definitionslinien des Pop. Manch Klassik-Apologet beharrt bis heute auf die sich überlebt habende Unterteilung von U- und E-Musik: Mozart = ernst zu nehmende Mucke, von Michael Jackson zu Rammstein = Unterhaltungsmusik. Das bunte, globalisierte Potpourri zeitgenössischer Unterhaltungsmusik, welches wir mit der Klammer Pop zu fassen versuchen, unterliegt dabei vor allem einem Unterscheidungskriterium zur Klassik: Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus. Bei dem man einfach mit muss. Der Beat regiert den Pop, egal ob im Rock, im Hip Hop oder beim Elektro.

Wieso interessieren sich dann alle relevanten Meinungsmedien des Pop für diese kalifornische Harfen-Trulla und ihr mittelalterlich anmutendes Gedudel? Wieso werden sämtliche ihrer Alben abgefeiert? Wieso ist ihr Publikum jung und urban und künstlerisch affin? Weil die Newsom schafft, was schon immer das Wesen von Popmusik war: Zusammenzubringen, was noch nicht zusammengehört. Ja, Joanna Newsoms Sound hat wenig Rhythmen und mehr Melodien, ist damit Klassik näher als Pop.

Aber Newsoms Musik ist vor allem eins: Ein perfider Trick. Es ist diese einmalige Art und Weise wie sie singt, wie sie Melodien strukturiert, ja rhythmisiert, die dem klassischen Antlitz ein ordentlich Beat-lastiges Popgerüst verleiht. Newsoms Gesang pulsiert rhythmisch, wie ein vergehender Stern. Es ist eben nur auf dem ersten Blick Musik für Opernfreunde.

Im altehrwürdigen Riesentheater Admiralspalast sind von den achtzehnhundert Plätzen nur im zweiten Rang noch Sitze zu haben. Alle, die ihr hier gestern lauschten, dürften von dieser seltsamen Magie, diesem unerhörten Art-Folk-Voodoo, eingenommen worden sein. Wie sie da zupfte und zupfte, an diesem monströsen Instrument, das stets von mehreren getragen werden muss, und gleichsam die Tonleitern rauf und runter sang, und in Klangwelten entführte, die mich ja schon ein wenig Meschugge gemacht haben: Man kann sie einfach nicht fassen, diese Joanna.

Fast schon obligatorisch, dass sie für so viel Voodoo dermaßen abgefeiert wurde, dass es, wie sie bekundete, das erste Mal auf ihrer laufenden Welttournee zu zwei Zugabesessions kam.

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