Es gibt das Gerücht, dass diese Großfamilie ihre Wurzeln in Hausbesetzerkreisen hat. Wenn man sich das zweite Album der Londoner Wahlverwandten anhört, scheint das keineswegs abwegig. Die Fat White Family kratzt auf “Songs For Our Mothers” erneut an der UK-Tradition und präsentiert sich so antibürgerlich, dass man davon ausgehen kann, dass die Truppe in ihren vier Wänden die Klobrillen abmontiert hat. Doch wenn eine Band ihrem Debüt schon einen Titel wie “Champagne Holocaust” verleiht und als Einfluss auf Facebook die “manson family jams” angibt, ist Irritation natürlich vorprogrammiert.
Dabei fängt das Album mit charmantem New Wave doch recht behaglich an. Auf “Whitest Boy On The Beach” hört man markante Bassläufe in nahezu klassischer Joy Division-Manier. Dabei ist diese Nummer überhaupt eine der wenigen, auf der sich noch so etwas wie Struktur oder Melodie herauskristallisiert. Wiedererkennungswert hat lediglich die charismatische wie markante Stimme von Texter Lias Saoudi, der jedes Stück mit seinen Krankheitstraumata und wahnhaften (Drogen-) Exzessen infiziert hat. Seine Londoner Kommune hat jedenfalls kein Interesse an den üblichen Schemata der britischen Rockmusik.
Vieles erinnert an den kruden Psychedelic von Foxygen, bei dem man sich auch immer fragen muss, was gerade improvisiert wurde und was nicht. Die wirren Gitarrenskizzen von “Love Is The Crack” stellen in dieser Hinsicht ein riesiges Fragezeichen auf. Diejenigen, die meinen, mehr Chaos ist nicht möglich, werden von der folgenden Nummer aber direkt eines besseren belehrt. Auf dem sakral angestrichenem “Duce” macht wirklich jede Gitarre, was sie will und man kann darüber rätseln, ob die Band eine Sitar eingebaut hat oder nur der Verstärker herbe kaputt war. Psychedelic in einer mehr als unkonventionellen Form.
In Sachen Produktion gibt es bei der Fat White Family anscheinend kaum Hierarchien. Auch der von einer Tuba unterstützte Schrammelfolk auf “Lebensraum” kennt weder Putzplan noch Haushaltsordnung. Das gilt auch für die Live-Auftritte, bei der die Band sich keineswegs daran stört, wenn das Publikum die Bühne stürmt. Ganz im Gegenteil, sie stiftet es geradewegs dazu an. Doch die Live-Energie, die das Sextett live rüberbringt, kann sich auf der Platte nicht immer ganz entfalten. “Tinfoil Deathstar” klingt zwar ziemlich treibend und dank Spoken Vocals nach früher Iggy Pop-Manier. Doch auf dem üben sieben Minuten langen LoFi-Labyrinth “We Must Learn To Rise” überspannt das Kollektiv wieder den Bogen – und zwar ordentlich, mit Pauken und Trompeten.
Diese Platte ist schon jetzt Anwärter auf das bizarrste Rockalbum des Jahres. Es mündet in der lieblos runtergespielten Akustik-Nummer “Goodbye Goebbels”, die sich thematisch den letzten Stunden im Führerbunker widmet. Ein mehr als eigenwilliger Humor, der mindestens genauso abgedreht und kompromisslos vertont wurde. Wer auf den und auf Schrammelgitarren steht, wird mit “Songs For Our Mothers” perfekt bedient. Alle anderen suchen sich aber lieber eine andere Wohngemeinschaft.