Wenn AnnenMayKantereit vor fünf Jahren als Start-Up Unternehmen angetreten wären, stünden sie jetzt kurz vorm Börsengang. Von den Anfängen in der Kölner Fußgängerzone über das erste Konzert im kleinen Club, gefeierten Festival-Auftritten bis zur bereits ausverkauften Tour zum Debutalbum in diesem Frühjahr – die Geschwindigkeit ihrer Entwicklung beeindruckt. Und niemand zweifelt ernsthaft daran, dass „Alles Nix Konkretes“ die bodenständigen Jungs mit den ausgelatschten Turnschuhen endgültig zu Stars machen wird.

Mit ihren erdigen Liedern über die großen Gefühle von Heranwachsenden treffen sie in das Herz einer Generation, von der behauptet wird, dass sie zwischen aller Vernetzung für allzu emotionale Momente unempfänglich geworden ist.

Der Nährboden des AMK Musikverständnisses stammt dabei in nicht unerheblichen Umfang aus dem Potential der Plattensammlungen ihrer Eltern. Deshalb begegnet man in ihrer Musik Hannes Wader, dem nicht-politischen Rio Reiser oder Element Of Crime, deren zeitlose Themen in die Sprache der Gegenwart transformiert werden.

Getestet wurden die eigenen Songs im Feldversuch auf der Straße, auf der Wiese vor der Uni, immer an der Basis. Dort wo es laut ist, wo keine Technik den Sound optimieren kann. Unverstärkt gegen die Geräuschkulisse anzusingen, formte Henning Mays Stimme zu dem voluminösen Organ, dessen unverwechselbare Kratzigkeit 2015 die K.I.Z. Single „Hurra Die Welt Geht Unter“ prägte.

AnnenMayKantereit produzierten 2013 ihre erste EP selber, im letzten Jahr folgte die via Crowdfunding finanzierte Kompilation „Wird schon irgendwie gehen“ die unter professionellen Bedingungen in den  geschichtsbehafteten Berliner Hansa Studios entstand, produziert von Moses Schneider. Jetzt die erste Platte auf einem Major, wieder bei Hansa in Berlin eingespielt, wieder veredelt von Mischpult-Meister Schneider. Zuviel auf einmal?

Nicht für die vier Schulkameraden aus Köln-Sülz. Es ist ein Heimspiel, was Henning May, Christopher Annen und Severin Kantereit zusammen mit dem vierten Mann Malte Huck auf die Platte gepackt haben. Eine Menge davon kennen ihre Fans bereits von ihren vielen Konzerten. Auch wenn Schneider noch mehr aus der Stimme des Sängers herauskitzelt, behält der Klang von der Konserve denselben Charme wie bei einer Live-Performance, vermittelt immer noch den Eindruck einer Jam-Session in der WG-Küche.

Die inzwischen schon Klassiker der jungen Bandgeschichte „Barfuß Am Klavier“ (für manchen die Mutter aller ihrer Songs), „21, 22, 23“, „3.Stock“ und „Oft Gefragt“ sind dabei ein solides Fundament, auf dem die restlichen Stücke bauen können, das bestätigte schon „Pocahontas“.

Auch noch nicht vorab erschienenes Material wie „Neues Zimmer“ oder das vertonte Mugger-Tagebuch „Das Krokodil“ werden sich in den Ohren fest verhaken.

Neben der tragenden Rolle des Gesangs, verbinden AnnenMayKantereit bewährt Folk und Pop mit etwas Rock und einer Spur Chanson. Gitarre, Schlagzeug, Bass, E-Piano, manchmal Farbtupfer von Trompete und Posaune, mehr braucht es dann auch nicht, um über das Album hinweg nach mehr als der Summe der einzelnen Teile zu klingen.

Eingebettet darin eine Poesie, geformt aus Alltäglichem, Sinnkrisen und den großen Gefühlen, die gefühlsduselige Peinlichkeiten und jeden Verdacht des Selbstmitleids souverän umschifft. Alles ist so formuliert, dass sich der Bewohner der Sozialwohnung in den Texten genauso wiederfinden kann wie der Absolvent des Numerus Clausus Studienganges.

AMKs Marketing bestand bisher aus einer gepflegten Facebookseite und jeder Menge YouTube Videos. Natürlich auch aus Authentizität. Mit dem Schritt zu Vertigo öffnet sich die Band den Marktmechanismen der Musik-Industrie. Hoffentlich können sie sich dort lange treu bleiben.

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