Zu runden Todestagen erscheinen oft neu zusammengestellte Best-of-plus-X-Alben, wobei X für posthum entdecktes oder neu interpretiertes Material steht. So erscheint auch im Falle von Rio Reiser, dessen Todestag sich am 20.08.16 zum 20igsten Mal jährt, ein solches Album.
Auf der Premium Edition von „Alles und noch viel mehr“ verneigen sich vier jüngere Musikkollegen mit eigens dafür eingespielten Coverversionen. Komplettiert wird das X mit bekannten Versionen von Echt, Fettes Brot, Soehne Mannheims und Nena sowie einer Neuinterpretation von „Wann“, welches sich etwas wie an Casper adaptiert anhört.
Rio Reiser, der als Wegbereiter deutscher Rockmusik gilt, hat durch seinen frühen Tod ein Loch gerissen, weil seither niemand mehr mit dieser Glaubwürdigkeit getextet und gesungen hat. Dies wird einem immer wieder, gleichsam schmerzhaft wie beeindruckend, bewusst, wenn man sich Songs wie „Für immer und Dich“ anhört. Eines der schönsten Liebeslieder, das die deutsche Musiklandschaft hervorgebracht hat, Gänsehaut lässt sich beim Hören kaum vermeiden.
Dennoch hat sich Johannes Oerding daran versucht, leider kommen seine Textzeilen etwas zu geweint daher. Zum Glück hat aber das Original, wie bei allen anderen neuen Coverversionen, auch Platz auf dem Album gefunden.
Namika mit Zauberland kann auch nicht so richtig überzeugen. Besser wird es dann erst mit der Version des „König von Deutschland“ von Gregor Meyle, der auch den Text etwas upgedatet hat. Schön dann Annett Louisan mit „Halt Dich an Deiner Liebe“ fest, die gerade erst mit ihrem im Mai erschienen Album bewiesen hat, dass ihr das neu interpretieren unterschiedlichster Songs liegt.
Rio hat nie den Ruhm eines Grönemeyer oder Maffay ernten können, weil er viel zu eckig und nicht massentauglich war. Mit seiner Band Ton, Steine, Scherben hat er gegen den Kommerz gesungen, musste sich diesem aber beugen, denn trotz einer Managerin Claudia Roth, heutzutage Vizepräsidentin des Bundestages, hinterließen die „Scherben“ auch einen finanziellen Scherbenhaufen, den Reiser Dank seiner anschließend gestarteten Solokarriere aber schnell beseitigen konnte.
Dafür hat er auch Elemente des Schlagers in seine Musik integriert und wurde als Volkssänger betitelt, was ihn selbst nicht störte: „Ein Volkssänger ist im besten Fall einer fürs Volk und aus dem Volk.“.
Politisch blieb er aber immer. Legendär sein Auftritt 1988 in Ostberlin, der von einigen als Start der Wende in der DDR gesehen wird: „Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist? […] Ich weiß es wirklich nicht – Ich weiß nur eins, und da bin ich sicher: Dieses Land ist es nicht!“. Und dennoch oder gerade deswegen beschloss Rio Reiser nach der Wende, bei ein paar Bier mit Gregor Gysi, Mitglied der PDS zu werden.
Von politischem Rio ist auf der Platte wenig zu hören, und so sind denn auch die beiden einzigen „Scherben“ Stücke, wenngleich sehr schöne, doch Liebeslieder. Schade, denn sein Aufruf gegen Ausländerhass „Heute die, morgen Du“ hätte gut ins Zeitgeschehen gepasst.
Insgesamt aber eine gelungen zusammengestellte Kopplung zum respektvollen Andenken an den Musikpoeten Rio Reiser und Menschen Ralph Christian Möbius.
PS: Wer mal ein etwas anderes Cover hören möchte, dem sei Tobias Christl’s „König von Deutschland“ empfohlen.