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Elbow – Little Fictions – Hoffnung Für Alle

Was tun, wenn eine Einheit, die ein Vierteljahrhundert unzertrennlich schien, plötzlich bröckelt? Elbow, die Band die sich zur Popkultur in etwa so verhält wie der MI5 zum Weltgeschehen (bedeckt, aber trotzdem verdammt wichtig, vor allem zu Hause), macht das so: Sie geht in ihr Stammlokal in Manchester, um bei einigen Ale den Kit zu erneuern.

Was tun, wenn der Schlagzeuger dennoch seinen Ausstieg bekannt gibt, weil das Feuer für die gemeinsame Sache weniger stark brennt als es sollte, und die eigene Schlagzeugschule und Yoga wichtiger werden als die Band? Elbow Sänger Guy Garvey sucht neue Wege bei Leidgenossen. Er hört sich die chronisch unterschätzte R.E.M.-Platte „Up“ in Dauerschleife an – die erste, nachdem deren Schlagzeuger Bill Berry R.E.M. verlassen hat.

Und was tun, wenn die ganze Welt im Angesicht des Brexit-Chaos, Trump-Fiebers, Terrorwahnsinns und grauenhafter Bürgerkriege waidwund in den Abgrund blickt? Elbow einigen sich irgendwann zwischen Mitternacht und Sperrstunde bei leichter Schlagseite auf das Prinzip Hoffnung und agieren damit genauso pragmatisch und geerdet wie bei allen anderen Fragen.

„Alles wird großartig sein“ verspricht das kleine Mädchen im Opener “Magnificent (She Says)”. Es ist einer der besten Songs, den Elbow je geschrieben haben. Und wer das tolle Video zum Song gesehen hat, kann gar nicht anders, als sich an dieser infantilen Zuversicht festzuhalten.

Der feierliche Auftakt zu einer Platte voller Sehnsucht, verpackt in orchestralem Indiepop – er verdeutlicht, dass Elbow aus ihrer Not eine Tugend machen. Durch den Ausstieg von Schlagzeuger Richard Jupp sind die vier Übriggebliebenen dazu gezwungen, mit Loops Rhythmik zu erzeugen. Am Ende steht paradoxerweise eines der perkussivsten Alben der Band.

Es geht aber auch eine Nummer kleiner, zum Beispiel mit dem leicht vertrackten „All Disco“. Pixies-Frontmann Black Francis war hierzu unfreiwilliger Ideengeber, als er in Guy Garveys Radiosendung der Genre-Distinktion mit der Bemerkung „Am Ende ist alles Disko“ eine lakonische Abfuhr erteilte. Guy Garvey friemelt daraus ein Pamphlet der Bescheidenheit. Auf dem Teppich bleiben, nichts überhöhen.

Weil aber gerade die Künstlerseele mit Leidenschaft der Muse hinterher fegt, wird mit dem achtminütigen Titelsong noch mal deutlich opulenter gedacht. Das Manchester Hallé Orchester, das maßgeblich an den Aufnahmen beteiligt war, hat hier seinen besten Auftritt. Die Stackatto-Streicher, die das Indieepos am Ende krönen, erinnern an Radioheads „Burn The Witch“ und glänzen doch mit windschiefem Eigencharme.

„We protect our little fiction like it’s all we have“! Spätestens hiernach sind Elbow erneut die bierbärtigsten Sugardaddys der Insel, ihr Frontmann der vielleicht beste Sänger der kontemporären Indiewelt und „Little Fictions“ die schönste Weltflucht vor postfaktischen Aluhüten. Ein musikalisches Schaumbad, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Mit Elbows siebtem Album stellt sich deshalb nicht die Frage, warum die Band zu den ganz Großen Großbritanniens gehört, sondern, warum sie nicht auch zu den ganz Großen überall sonst zählt? Ein Skandal!

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