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Peter Doherty – Live in der Großen Freiheit 36, Hamburg

Wenn etwas, das man sich zwar inständig erhofft, aber nicht unbedingt erwartet, überraschend eintritt und dann auch noch früher, länger, schöner, besser als für möglich gehalten, dann hat es im Bereich zeitgenössischer Livemusik womöglich mit Peter Doherty zu tun.

Ein Freitag in Hamburg. Kurz vor seinem Auftritt ist mal wieder außergewöhnlich Gewöhnliches vom unberechenbarsten Rockstar des globalen Pop zu hören, als sich die Große Freiheit 36 füllt. Auf der laufenden Tour zur neuen Platte, so macht es schon vor der Tür die Runde, habe ein Mix aus Heroin und Hardalk gerade den Gig in Frankfurt um Stunden Richtung Mitternacht verschoben, wo das schlampige Genie dann mehr lallte als sang, eher kurz als lang.

Doherty eben.

Ein begnadetes Drogenwrack von größtmöglichem Unterhaltungswert. So lauschte das Publikum auch im legendären Club am Rande der Reeperbahn weniger hoffnungsfroh als skeptisch der Vorband seines Gitarristen samt dreier Roadies.

Acht Uhr. Offizieller Beginn. Mikros werden verkabelt, Amps verrückt. Kommt er? Kommt er nicht? Er kommt! Kaum zehn Minuten zu spät, mit opulenter Gestik und elegantem Anzug. Manschettenknöpfe am Arm, morphinistisches Wachs im Gesicht, randvoll bis unter die Hutschnur, konzentriert wie ein gedoptes Rennpferd.

So legt Pete Doherty an einem Ort los, den er on stage zur zweiten Heimat erklärt. „Home again“ nuschelt der brillante Songwriter dort, wo einst schon die Beatles standen, unweit jener Clouds Hill Studios am Stadtrand, in denen er sein tolles Album „Hamburg Demonstrations“ aufgenommen hat, die Produzenten stets am Rande des Nervenzusammenbruches, das Scheitern permanent vor Augen.

Aber eben nur dort. Denn jetzt steht er da oben, faselt was vom Brexit und dass er Deutschland liebe, was Kölnern, denen er das gesagt habe, egal sei, weil die nur Köln lieben. Schluck aus dem Becher mit etwas Rotem darin. Abfahrt.

Wenn Pete Doherty auftritt, so geht das seit den Zeiten der Libertines am Anfang der zweiten Britpopwelle, ist jede Wette auf ordnungsgemäßen Ablauf riskanter als Poker im Rotlichtviertel. An diesem Abend jedoch gäbe es den Jackpot.

Was der entfesselte Dandy schließlich abliefert, ist mit das Beste, was die Große Freiheit je erlebt hat. Mit einer unvergleichlichen Mischung aus Virtuosität und Lässigkeit, die britischer Pop dem deutschen für alle Zeit voraushaben wird, rotzt das Quintett um den Superstar auf Solopfaden eine Show, in die (wohl allein aus Angst vor Totalausfall nicht ausverkaufte) Halle, von der die meisten noch länger reden werden.

Der Bassist ist eine pilzköpfige Oasis-Hommage im deutschen Weltmeistertrikot von 1990, am Schlagzeug ein zottelig eleganter Fellstreichler, die Geigerin aufreizend ernst und stets übersteuert, hier wirkt nichts geplant, dabei durchweg präzise und grad dadurch wie gemacht für den hackedichten Entertainer im Höchstform.

Immer dann, wenn den Gästen das neue Solozeugs zu, nun ja, neu ist, lockert der Entertainer die berüchtigte Zurückhaltung hanseatischer Konzertgänger mit den Babyshambles oder bedröhntem Getue. Und als der Saal beim symphonisch gedehnten „Fuck Forever“ der Babyshambles im Finale kocht, tritt Peter Doherty fast schon spießig, normale 90 Minuten nach dem Beginn ab, sichtbar erschöpft, glücklich wie lange nicht, so scheint es.

Und längst nicht befriedigt. Wie das bei Junkies eben ist. Denn eine Viertelstunde später, die halbleere Freiheit wird längst gefegt, kehrt er mit nacktem Oberkörper unterm Hosenträger zurück auf die Bühne und winkt seine Band ran, die sich bierselig giggelnd an den abgestöpselten Verstärkern zu schaffen macht.

Leider erfolglos. Bis auf ein paar Riffs und Petes unverstärktem Gesang ist nichts zu hören. Und vor der Tür warten schon die ersten Besucher der anschließenden Ballermannparty, mit denen selbst Hallenlegenden wie diese ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Unterm Jubel der verbliebenen Fans tritt Pete Doherty ab und hinterlässt bei vielen dennoch erstmals das Gefühl, mehr gekriegt zu haben als erwartet. Vom schlampigsten Genie des globalen Pop in seiner zweiten Heimat Hamburg.

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