Camping schmerzt, wenn man zart besaitet ist. Glücklicherweise sind die Gitarrensaiten Candelillas robust, denn was die vier Münchnerinnen auf ihrem dritten Studioalbum “Camping” raushauen, ist alles andere als bequem – ganz nach dem Titel des dritten Songs auf der Scheibe “Trocken und staubig”: “Endlich Herbst, der Sommer der jungen Wilden ist vorbei.” Und das, wenn es draußen doch endlich Frühling werden sollte.
Schon der erste Song “Augen” sticht einen mitten ins Herz. Fieser Schrei der Gitarre weicht kitschig anmutenden Piano-Akkorden. Und andersrum. Das rein instrumentale Intro über zwei Minuten öffnet vielleicht nicht unbedingt Augen, doch definitiv Ohren.
Candelilla bereiten vor, auf das, was da noch so kommt. Töne in Schieflage. Treibender Bass. Tighter Schlag. Und kein wirklicher Gesang. Eher Stakkato-Aufschreie. Die dramatische Tendenz der Musik schleicht durchs ganze Album.
Selbst beim Titel “Ruhig draußen”, der eigentlich an Liebeserklärungen erinnert (“Ich mag deinen Körper, er hat eine schöne Oberfläche / Ich mag wenn du mich ansiehst, ich mag wenn du mir vertraust“), lässt die musikalische Finsternis und die Schwere des Frauenquartetts kaum nach.
Schwebt man tatsächlich einen kleinen Moment auf einer sphärischeren Ebene, ein ganz klein wenig sanfter, da haut der abrupte Übergang zu “Atmen” einen wieder in die harte Realität zurück: “Deine Sehnsucht, dein Ende / Fühl dein Puls. / Schneller. Schneller. Schneller.” Um schließlich im achten Track “Tier” zu gipfeln.
Das zweite beinahe-Liebeslied “Pool” senkt dann den Puls des Hörers wieder. Interessant dabei ist, dass der Titel, musikalisch gesehen, ähnlich kratzig wie die ersten Songs “Hand” oder “Trocken und staubig” ist. Einzig durch die rasante Steigerung von “Ruhig draußen” über “Atmen” zu “Tier” lässt er einen im “Pool” entspannen.
Schließlich liegen da zwei am Pool und “Die Welt steht still, sie sagen nichts / Sie lieben sich. Sie liegen an einem Pool / Die Welt ist Zucker”. So viel Romantik würde man Candelilla während der ersten acht Songs wohl kaum zutrauen. Wobei, euphorisch wird auch “Pool” nie, dafür fehlt doch mindesten ein Dur-Akkord.
Eine leichte Intimität schaffen Mira Mann, Lina Seybold, Sandra Hilpold und Rita Argauer nur auf ihrer Vorab-Single “Intimität”. Sie ist als Nummer vier des Albums leichter als eins bis drei und eigentlich sogar tanzbar.
Die wirkliche Überraschung jedoch ist die Anschlussnummer “Transformer”. Da ist vieles anders. Ganz anders. Candelilla transformiert sich hier kurzerhand in eine fröhlich leichte Indiepopband, mit Melodie und Gesang. Auf Englisch. Eine wunderbare Tanznummer, die das ansonsten knarzige und raue Geflecht der kurzen düsteren Wort-Stücke angenehm auflockert. Das war’s dann aber schon mit Happyfeeling. Immerhin ist es mit Nummer fünf von zehn schön mittig.
So wie Candelilla im zweiten Song “Hand” die Hand und deren Bewegung seziert – in 33 Muskeln und 27 Sehnen – so gehen sie auf dem ganzen Album mit der Welt und mit Begegnungen um. Angriffslustig. Schonungslos. Hart. Und pfeilgerade.
Man muss Candelilla nicht unbedingt mögen. Aber man kann. Und: man kann immer mehr. Ist man nach dem ersten Durchhören von “Camping” vielleicht erstmal ratlos oder leicht irritiert, schafft man es bei einem zweiten Mal, auf die Stufe interessiert und spätestens nach dem dritten Durchlauf erreicht man Stufe ok, ich will das genauer wissen. Mehr davon. Und doch bleibt man angenehm distanziert.
Camping, das haben wir zu Beginn festgehalten, kann schmerzen. Vor allem, wenn die vier Frauen einen mit der letzten Nummer des Albums in die “Wüste” schicken. Schleppend. Monoton. Die Nacht ist kalt. Und die drei letzten Worte: “Wüste. Chaos. Fieber”.