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Jeb Loy Nichols – Country Hustle

Wer hat eigentlich gesagt, Jeb Loy Nichols mache Country? Hört man sich durch sein gestern erschienenes elfte Studioalbum “The Country Hustle”, findet man wohl so alles – außer Country.

Das gesamte Werk basiert auf seinem versierten musikalischen Können, Wissen und seiner fundierten kompositorischen Sicherheit. Er weiß, was der tut. Unaufgeregt mischt er auf “The Country Hustle” querbeet alle Musikstile. The Country Hustle. Ein Gedränge der Musikstile durch Jeb Loy Nichols Musiklandschaft.

Perfekt für einen Sonntagmorgen beispielsweise beginnt die Platte mit “Come See Me” mit einer ruhigen Reggae-Nummer. Oder ist es doch eher Singer Songwriter? Folk? Jedenfalls immer angenehm leicht in Verzögerung. Sowohl Musik, wie auch Rhythmus und Gesang.

Als gelernter Grafikdesigner gestaltet Jeb nicht nur seine Albumcover selbst, sondern malt auch seine eigene musikalische Welt. Mit “Come to see me, come to see me” – ein einladender Refrain in einem einladenden Song. Als würde es heißen: Come to hear me!

Also los: Seine warme und ruhige Stimme zieht auch durch die Nummer zwei des Albums “Maisy Hay”. Eine gute Steigerung für den Sonntagmorgen sind die leicht verzerrten und atonalen Keyboardeinwürfe. Und die Kürze der Nummer: zweieinhalb Minuten.

Perfektes Timing, dann der dritte Song “Don’t Drop Me”: Nach zwei windstillen Nummern drängt sich der Funk in die Musiklandschaft – Country Hustle – doch immer noch ohne zu übertreiben. Irgendwie bodenständig. Bodenständiger Funk. Das muss man erstmal hinkriegen. “Don’t Drop Me”. Lass mich nicht fallen – bis dahin klappt das ganz gut.

Dass der in Wales größtenteils autark lebende US-Amerikaner nicht nur den Groove beherrscht, sondern auch Botschaften transportiert, wird spätestens mit dem vierten Song “I Hate Hate” klar. Erwartet man nun aber eine harte Nummer (ok, harte Nummer in Zusammenhang mit Nichols: ein Paradoxon!), wird man mit märchenhaften Klängen überrascht. Ein Synthie-Melodiechen, zart und fein, dass durchaus in der fabelhaften Welt von Amélie Poulain enden könnte. 15 Sekunden lang.

Dann der Bruch zur funkigen Dicsonummer. Leicht, luftig und im starken Kontrast zum Text “There is so much hate going on today, on the right, on the left”. Angenehm irritiert hört man bis zum ersten Refrain. Dann wird’s schnulzig, poppig, kitschig. Hier, Jeb Loy, lässt du uns doch fallen?

Und fängst uns auch nicht gleich wieder auf. Leider. Zwar ist “That’s How We’re Living” etwas temporeicher, doch genauso anstrengend überharmonisch und soft wie “Katie Blue” eine Nummer weiter.

Till The Teardrops Stop” lockt zu Beginn dann wieder mit experimentellen Synthieklängen und -rhythmen, doch auch hier plätschert es dann nach knapp 30 Sekunden einfach so dahin, mit sanftem Chor und relaxt schlürfender Melodie. Wo ist das Schleppende, Verzerrte hin? Die Überraschungen? Wir waren doch bei Sonntagmorgenmusik – soll man wieder eingelullt werden? So wird das dann nichts mit dem Sonntagnachmittagsspaziergang.

Gut findet Jeb Loy Nichols in der achten Nummer “Never Too Much” zum Reggae zurück. Mit passender, leicht heiseren Stimme. Das tut gut. Also in den Strophen. Singt sein Chörchen im Refrain dann “Never too much, never too much, never too much”, naja, dann ist es doch wieder too much. Too soft.

Zwar ist “That’s All I Want” auch noch wieder eine sehr langsame ruhige Nummer. Doch hier zeigt der Muiltikönner auch noch seine folkige Hippie-Seite. Und ha! Tatsächlich ein kurzes klitzekleines Country-Gitarren-Arpeggio. Gefolgt von leicht psychedelischen Einschüben. Arhyth­misch. Vielleicht ist “That’s All I Want” gar die beste Nummer des Albums.

Gefolgt von “You Got In” – ja, man ist wieder drin, in der vielseitigen Welt Nichols. Hier sehr spartanisch mit Gitarre und Gesang. Und der elfte Song “Regret” ist dann wohl das Paradebeispiel Nichols. Der Mann, der sich in keine Schublade stecken lässt, mischt hier definitiv alles, sogar Country. Mit Funk, Sprechgesang, Folk, Reggae, Pop. Hab ich was vergessen?

Und spätestens mit der letzten Nummer “Long Live The Looser” sind wir im Hip-Hop angekommen. Zumindest ein bisschen. Klar, da kommt nochmals das Frauen-Chörchen zum Zug, das den Refrain säuselt. Gemeinsam besingen sie die Verlierer der Gesellschaft, erschreckend beiläufig, bis Minute 3:45.

Abbruch. Stimmgewussel. Man ist wieder wach. Und fragt sich, was da noch kommen mag. Eine halbe Minute später ist er wieder da, der Hip-Hop. Und langsam kommt die Lust auf den Sonntagnachmittagsspaziergang doch noch.

Vor allem – und da hüpft das längst vergangene Teenager-Herz – ab Minute viereinhalb klingt Jeb Loy Nichols “Long Live The Looser” verdächtig nach dem Refrain vom 1995-Hit “We’ve Got It Goin’ On” von den Backstreet Boys. Natürlich nimmt er auch da Tempo raus, wie quasi auf der gesamten Platte. Doch diese Schlussnummer macht den Stilmix definitiv komplett.

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