Kritiker handelten Saint Etienne bereits als technisch hochgerüstete ABBA Variante. Wo auch immer in den letzten 27 Jahren derartige Zusammenhänge hörbar waren: ein Vergleich mit den schwedischen Pop-Giganten adelt mehr, als dass er schadet.
Denn Pop ist das dominierende Element im Gesamtwerk des Trios aus London, die einst als Indie-Gegenentwurf zu den Pet Shop Boys ihren Dienst antraten, und führte auf ihren Alben verlässlich zu musikalischen Höchstleistungen.
„Home Counties“ ist ihre erste Platte nach fünf Jahren und wenn der kurze Einstieg auch auf „The Reunion“ hört: getrennt waren Bob Stanley, Pete Wiggs und Sarah Cracknell nie.
Da neben dem Pop das Ausloten der Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung ein weiterer Grundsatz der Band war und ist, dauerte die Fertigstellung der neuen Kreationen nur etwas länger.
Nach dem ersten vollwertigen Song „Something New“ glaubt man, in ein Zeitloch gestolpert zu sein. Der Dream-Pop formt eine Wattewolke, in die man sich hineinfallen lassen kann, kitschig überzeichnet betört Cracknells Gesang wie ein Twin Peaks Soundtrack Song in der Dance-Ausgabe.
Nach dem gewohnt geschmeidigen Einstieg beginnt die Platte, mit Sounds zu spielen, verpassen Saint Etienne „Magpie Eyes“ eine lässige 007-Aura, lassen den Motown auf „Underneath The Apple Tree“ hochleben.
Es vereinen sich während „Church Pew Funiture Restorer“ Vogelgezwitscher mit Ministrantenchor und egal, ob Cembalo oder Spinett im Einsatz sind: „Take It All In“ ist das Credo von „Home Counties“.
Obwohl das pumpende „Dive“ die Discokugel glitzern lässt, verlieren Saint Etienne Gegenden, in denen sie nicht unbedingt glänzen, keineswegs aus dem Blick. Auf „What Kind Of World“, „Train Drivers In Eyeliner“ und dem acht Minuten psychedelisch vor sich hin orgelnden „Sweet Arcadia“ beschäftigen sie sich mit dem überwiegend öden Leben in Londons Randgebieten.
Das Trio gießt in Kooperation mit Shawn Lee all ihre Tugenden der letzten Jahrzehnte in neue Formen und bleibt damit auch 2017 eine entspannte Konstante britischer Popmusik.