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Love A – Live in der Oetinger Villa, Darmstadt

Es riecht nach Schweiß, Alkohol und Vorfreude. Wie sehr der Post-Punk von Love A auf der zweiten Silbe betont wird, ist an der ganzen Rahmung des Abends fest zu machen – lange bevor das Quartett selbst auf der Bühne steht.

Jacken werden an der Garderobe gesammelt in Müllsäcken abgegeben. Pro Beutel wird nur ein Euro genommen. Die Beleuchtung des Konzertraumes ist so rudimentär und unaufwendig wie möglich, und gerade so hell wie nötig. Das Bier an der viel zu kleinen Theke kostet einen Euro fünfzig und der Sound der Vorband Tunnel ist latent miefig, so dass sich der 70er Retro-Punk richtig wohlfühlt.

Das selbstverwaltete Kulturzentrum Oetinger Villa ist die perfekte Location für ein Punk-Konzert, obwohl mit Love A eine äußerst untypische Punk-Band gastiert.

Die Lyrics sind nur in ihren Gesten Punk satt. Jörkk Mechenbier textet viel komplexer als die meisten Zeitgenossen seiner Zunft. Gut und Böse, Schwarz und Weiß sind längst nicht immer klar getrennt. Alles ist irgendwie grau. Dunkelgrau. Und hat trotzdem diese entscheidende Pointe, die der Sache ihre Leichtigkeit gibt.

Beim „100.000 Stühle leer“ versingt sich Gitarrist Stefan Weyer kurzzeitig. Mechenbier macht den Trapattoni und schimpft ironisch „Was erlaube dir, hast du gesungen wie Stühle leer.“ Nur ein Beispiel von vielen, das zeigt: Auch wenn es auf ihren Platten selten was zu lachen gibt, sind sie keinesfalls humorbefreite Besserwisser.

„Klar, hab ich gelacht, als alles scheiße war, weil das beim Überleben hilft“, singt Mechenbier kurz darauf, als ob er das nochmals unterstreichen wollte. Gitarrist Stefan Weyer spielt dazu flinke Achtel-Melodien, die – denkt man sich alles andere weg – zum Teil durchaus auch auf einer Interpol-Platte unterkämen. Und die haben mit Punk nun wirklich gar nichts zu tun.

An Weyers Spiel fällt noch etwas auf, das so gar nicht mit dem genre-typischen Powerchord-Geschrubbe zusammen geht. Er steuert äußerst selten einen Verzerrer an. Seine raffinierten Single-Note-Hooks haben das gar nicht nötig, weil sie auch unverzerrt kraftvoll durchschlagen.

Diese Spielweise ist exemplarisch für den ganzen Auftritt der Band: Clean, echt, ohne Verzierungen, keine Show, nicht einmal ein Bühnenlicht, das sich bewegt. Lediglich Mechenbiers theaterpädagogische Mimik ließe sich als unterstützende Performance bezeichnen, die aber mehr zwanghaft als antrainiert scheint.

Dass er dabei bisweilen aussieht wie Jack Nicholson in „Shining“, macht es noch spannender. Mit einer Hand auf dem Rücken erklärt er dem Moshpit vor der Bühne die Welt als Irrenhaus, so eindringlich und leicht verrückt, wie es  der Schauspielikone in „Einer flog über das Kuckucksnest“ gelang.

Das Publikum saugt alles auf, ein Teil pogt ausgelassen und grölt die literarischen Parolen mit. Bei Zeilen wie „Du hast keine Ahnung wofür mein Herz schlägt“ sind sich alle zu 100 Prozent sicher, auf der richtigen Seite des Schlamassels zu stehen – auf und vor der Bühne.

Das ist in der Summe dann wieder so Punk wie nur möglich. Fällt wegen des aufgekratzten Tanzens die erste Reihe doch mal ungewollt ins Equipment und wirft Weyers Mikrofonständer um, wird er sofort von den Verursachern wieder aufgebaut.

So singt es sich am Ende auch am schönsten: „Brennt alles nieder, fickt das System“ – eine Zeile aus dem Schlussong von „Jagd und Hund“, für gewöhnlich das letzte Lied eines Love A Konzertes. Das Publikum meint damit eigentlich „Zugabe“ und Love A nehmen dankend an.

Nein, das ist keine typische Show. Das ist unverklemmte Haltung zur Lage der Menschheit mit sehr hohem Unterhaltungswert.

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