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Noel Gallagher’s High Flying Birds – Live im Mehr! Theater, Hamburg

Auf dem Weg zum Mehr! Theater in Hamburg, in dem an diesem Abend Noel Gallagher’s High Flying Birds auftreten sollen, können beim Uneingeweihten ernsthafte Zweifel darüber aufkommen, ob Noel Gallagher nun eine Person oder ein Personenkult, eine Institution für Gleichgesinnte, gar eine Kirche für Lederjackenfetischisten ist.

Mehr als einmal begegnet man schon vor der Halle Männern mit leicht angegrautem Haarschopf, der in seiner Stirnfreiheit und sonstigen Halblänge nur einem nachempfunden sein kann, Noel. Und wie es ausschaut, haben sämtliche Exemplare denselben Topf als Schablone verwendet.

In der Halle angekommen, relativiert sich der erste Eindruck dann doch. Viel ausgeglichener ist der Geschlechterschnitt heute, als man es vielleicht zu den Zeiten erwartet hätte, in denen der Oasis-Songwriter noch in zweiter Bühnenreihe den Lastern eines jungen Rockstars frönte. Von den anwesenden Frauen wagt sich kaum eine an den ikonischen Haarschnitt heran, vielleicht ja nach diesem Abend.

Auf der Bühne zieht ein gigantischer halbkreisförmiger Bildschirm direkt die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, spätestens als pünktlich um 19 Uhr in weißen, geschwungenen Lettern Blossoms darauf zu lesen ist. Die fünf jungen Briten aus Stockport, die Ende April ihr zweites Album “Cool Like You” veröffentlichen, haben allesamt mehr Haar auf dem Kopf als ihr Förderer und Fan Noel Gallagher.

Damit sei nicht die Behauptung aufgestellt, die Haarlänge habe einen Einfluss auf den Sound einer Band. Obwohl, den melancholisch kitschigen Bass der Blossoms kann man so jedenfalls in Phasen auch bei den langhaarigen Bee Gees hören.

Aber Spaß beiseite, Kitsch ist, wenn es um die Blossoms geht, keineswegs als Beleidigung zu verstehen, sondern als Qualitätsmerkmal. Wie Frontsänger Tom Ogden in weitem, aufgeknöpftem Hemd und flatternder Schlaghose durch das Visier seiner ins Gesicht fallenden Haare die Hits der Band, “Honey Sweet” und “I Can’t Stand It”, voller Inbrunst vertont, fällt es einem schwer, nicht Gefallen zu finden an dem nostalgischen Sound, der getragen wird von E-Piano und Bass.

Mit dem letzten Song “Charlemagne” scheinen die Blossoms auch einige Fans im Publikum gefunden zu haben, welche die Band nicht nur aus Anstand und Vorfreude auf Noel Gallagher’s High Flying Birds mit einem Applaus verabschieden.

Die betreten eine halbe Stunde später unter ohrenbetäubendem Beifall die Bühne und positionieren sich vor dem LED-Monitor, der mittlerweile das Cover ihres neuesten Albums “Who Built The Moon?” zeigt.

Noel steht natürlich in der Mitte und lässt einen prüfenden Blick über das Publikum schweifen, ehe er das Set mit “Fort Knox” beginnt. Dramatik pur, treibende Drums und ein tiefer, dröhnender Bass werden von spirituellem Gesang begleitet, ehe Noel im zweiten Song “Holy Mountain” endlich selbst zum Mikrofon greift.

Das Publikum nimmt ihm ganz und gar nicht übel, dass er sein Set mit Songs des neuesten Albums einleitet. Und wenn, dann überspielen besonders die ersten Reihen das gekonnt durch euphorisches Herumhüpfen und Mitgrölen.

Eine gewisse unbeschreibliche Energie geht von dem Mann aus, der da vorn relativ statisch auf der Bühne steht, und geht auf jeden im Publikum über. Wie in einem Traum scheint für die meisten die Performance des Großmeisters, der sich stimmlich keine Blöße gibt und Hit nach Hit in die zum Konzertsaal umfunktionierte Großmarkthalle schleudert.

“It’s like a dream”, singt er passenderweise in “It’s A Beautiful World” und inszeniert sich selbst mit teils psychedelischer Lichtshow und unkonventioneller Instrumentenwahl zum musikalischen Intendanten moderner Rock-Musik.

Ohne die eigene Vergangenheit komplett zu überspielen, entsteht so live ein ganz neues Bild von Noel Gallagher. Denn obwohl er an diesem Abend wieder sechs Songs von Oasis spielt, steht da auf der Bühne kein jungenhafter und impulsiver Rockstar mehr, der sich auf Lorbeeren vergangener Jahrzehnte ausruht, sondern der Dirigent eines Rock-Orchesters, das nach seinen Vorstellungen nach Größerem greift, universellen Anspruch hat.

“Ballad Of The Mighty I” und “She Taught Me How To Fly” dürfen natürlich auch nicht fehlen und erfreuen sich sogar ähnlicher Begeisterung wie die Songs der ehemaligen Band des Sängers aus Manchester.

Wenig verblüffend, euphorisiert an diesem Abend aber kaum ein Satz mehr als die Frage Noels, ob Oasis Fans im Raum seien. Sogar in der hintersten Reihe sind jetzt springende Menschen zu beobachten, die mit ausgestreckten Armen und ohne Topffrisur eine Freude offenbaren, die offenbar von Jugendwünschen genährt wird.

Kein Satz, aber ein Song toppt das dann doch noch, als Noel Gallagher’s High Flying Birds “Wonderwall” anstimmen und der ganze Saal einstimmig den Text der legendären Ballade von 1995 mitsingt. Niemanden stört es, Noel’s Stimme statt der von Liam zu hören, wird ein Großteil seiner Gesangseinlagen doch sowieso vom Publikum übertönt.

Als die Zugabe dann sogar noch “Don’t Look Back In Anger” mitbringt und ein Sternenhimmel an die Decke und den Bildschirm auf der Bühne projiziert wird, bleibt kaum ein Auge trocken. Noel hat es an diesem Abend geschafft, Neues und Altes zu vereinen und ohne Kompromisse eine musicalartige Inszenierung seiner Werke nach Hamburg zu bringen.

Am Ende darf er dann auch noch einmal Fan sein und “All You Need Is Love” von den Beatles spielen, seine ewigen Vorbilder und vielleicht einer der Gründe dafür, warum er nie damit aufhören wird, Songs zu schreiben, die selbst die einzige Person beeindrucken würden, vor welcher er nicht so souverän auftreten könnte, wie er es heute getan hat, John Lennon.

Gut für uns, denn Noel Gallagher als verstaubtes Relikt der 90er zu bezeichnen wäre seit den Endzeiten von Oasis nie so unpassend gewesen, wie an diesem Abend.

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