Jorja Smith – Lost & Found

Das Internet macht’s möglich. Wo junge Künstler oft jahrelang darauf warten müssen, auf kleinen Gigs eine mittelgroße Gefolgschaft zu gewinnen, alles für ein kleines bisschen Aufmerksamkeit tun müssen, genügt bei anderen ein Klick und ein bisschen Glück. In Jorja Smiths Fall war es Drake, der die junge Britin auf Soundcloud entdeckte und als Support und Feature auf seinem Projekt “More Life” engagierte.

Jetzt kommt das Debütalbum “Lost & Found”. Verkehrte Welt? Nein, denn obwohl bei Jorja Smith der große Erfolg schon vor dem ersten Album kam, sie sich in einem Genre bewegt, das mit FKA Twigs, Kali Uchis und Alina Baraz momentan sowohl im Mainstream, als auch in der Nische, extrem prominent besetzt ist, lässt sie sich auf “Lost & Found” keine unnatürliche Größe aufdrücken.

Ihr erstes Album ist kein zwangsgereiftes Produkt ihrer kurzen Karriere, sondern ein rohes und authentisches Stück R’n’B. Das wird zuerst deutlich bei “Teenage Fantasy”, das ohne den Versuch der Glorifizierung oder Poetisierung die normalen Leiden und Gedankenspiele eines Teenagers ausdrückt.

Dass Smiths Stimme dabei so extrem erwachsen klingt, sollte dann nicht von den Texten ablenken, die lebensnahe Geschichten erzählen. Allein die vokalen Leistungen machen aus diesen eine, von beeindruckender und einschüchternder Grandeur geschmückte, Erzählung.

Am Ende des Liedes bricht die minimalistische musikalische Begleitung ab und setzt die tiefe Stimme Smiths sich selbst aus. Smith fängt an zu lachen, als hätte sie selbst im plötzlichen Bewusstsein über die eigene Stimme realisiert, wie antithetisch Gesang und Inhalt klingen.

“February 3rd” und “Blue Lights”, der Song, durch den Drake sie entdeckte, klingen amerikanisch, melancholisch und aus der Zeit gefallen. Eine Atmosphäre, die urban und maritim zugleich wie die pointierte Beobachtung einer amerikanischen Vorstadt wirkt.

Britische Tennagerfantasien und amerikanische Dramatik werden in “On Your Own” von drakeesken Beats, bei “Goodbyes” von akustischer Gitarre und in “Lifeboats (Freestyle)” von oldschooligen Beats begleitet. Und dann ergibt es auch wieder Sinn, dass Smith erst 21 Jahre alt ist, noch jünger war, als sie das Album aufnahm.

Jugendliche Naivität, die sich in kreativer Freiheit bemerkbar macht, lässt die junge Britin Genres transzendieren, ohne sich abmühen zu müssen. “Lost & Found“ ist ein Selbstversuch, ein Austesten der eigenen Grenzen.

Den unmöglichen Moment, in dem eine in der öffentlichen Wahrnehmung angekommene Künstlerin auf einem Debütalbum ihren Sound definieren und sich gleichzeitig anbiedern muss, hat Jorja Smith übersprungen. Der bewusste oder unbewusste Verzicht auf, mit Sicherheit mögliche, Features legt den Fokus auf sie selbst, nicht auf einen Katalog etablierter Künstler.

Verfrühte Vergleiche mit Adele und Amy Winehouse und die Unterstützung Drakes hätten dazu führen können, dass Jorja Smith im Schatten ihrer eigenen Popularität untergeht. Das Risiko wäre hiermit minimiert.

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