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Ich habe mir ein kleines Gefängnis aufgebaut – Sophie Hunger im Interview

Vor knapp 12 Jahren veröffentlichte Sophie Hunger mit „Sketches On Sea“ im Eigenvertrieb ihre erste CD, die sie bei sich zu Hause aufgenommen hatte. Für den französisch-schweizerischen Stop-Motion-Film „Ma vie de Courgette“ („Mein Leben als Zucchini“) schrieb die 35-jährige Sängerin 2016 den Soundtrack und hat sich seitdem unter anderem auch als Filmkomponistin etablieren können. Nach „Supermoon“ veröffentlicht Sophie nun mit „Molecules“ ihr mittlerweile sechstes Studioalbum, das sie gemeinsam mit Dan Carey Herbst letzten Jahres in London aufnahm. Zum Albumrelease trafen wir uns mit der Schweizerin zum Interview und sprachen über musikalische Improvisation, eine weiblich geprägte Vision und Berlin als „Bollwerk des geistigen Widerstandes“.

MusikBlog: Sophie, du hast dich seit „Ma vie de Courgette“ mittlerweile ziemlich als Film-Komponistin etabliert. Was gefällt dir daran?

Sophie Hunger: Eigentlich finde ich es nicht so gut, es ist recht schwer. Bei Filmen gibt es immer so riesige Teams und ganz viele Leute. Es gibt keinen klaren Chef, sondern ganz viele, die da mitreden. Es ist keine einfache Aufgabe. Das Wichtigste ist aber, dass man mit dem Regisseur oder der Regisseurin einen unabhängigen, starken Kontakt pflegt. Wenn das möglich ist, dann kann es was ganz Tolles sein, aber sonst ist es schon ganz schön schwierig.

MusikBlog: Wie war es bei “Mein Leben als Zucchini”?

Sophie Hunger: Bei “Zucchini” war das definitiv der Fall. Ich habe fast nur mit Claude Barras geredet und der hat mir volles Vertrauen entgegengebracht, ich durfte frei arbeiten. Ich bin halt auch einfach Solokünstlerin, es ist schwierig für mich, Kompromisse einzugehen. Das macht mich vielleicht ein bisschen unflexibler als ein typischer Filmmusiker, der es gewohnt ist, irgendwie alle zwei Wochen alles wieder über den Haufen zu werfen. (lacht)

MusikBlog: Aktuell arbeitest du an Gregory Colbert’s „Nomadic Museum“, dem Nachfolger der „Ashes and Snow“-Ausstellung.

Sophie Hunger: Das ist lustig, der will eigentlich nur von mir, dass ich improvisiere! Ich gehe jedes Jahr zu ihm nach New York, dieses Jahr schon zum vierten Mal, und setze mich dort dann noch mit einem anderen Musiker, David Baron, zusammen.

MusikBlog: Wie genau läuft das Improvisieren dann ab?

Sophie Hunger: Wir haben etwa eine Woche Zeit und Gregory gibt uns Blätter mit verschiedenen Worten, vielen Tiernamen und zum Teil komplett abstruses Zeug, wo ich überhaupt nicht weiß, was das heißen soll. (lacht) Die Aufgabe ist aber dann ganz klar: Improvisation. Und das ist im Vergleich zur Filmmusik dann wieder was ganz anderes, ein richtiger Kontrast. Bei Improvisation konstruierst du nichts, du bist dann im Moment, der Zufall spielt eine große Rolle.

MusikBlog: Das alles neben der „normalen“ Musik?

Sophie Hunger: Es hat was damit zu tun, dass ich der Monotonie entfliehen möchte. Ich glaube, das kennen alle. Wenn man immer nur das gleiche macht, dann ist es manchmal ganz angenehm – wie auf einem Schachbrett – einen Rollenwechsel vorzunehmen.

MusikBlog: Mit „Molecules“ dann wieder in die alte Rolle der Solokünstlerin.

Sophie Hunger: Nicht ganz, ich habe diesmal etwas Neues ausprobiert. Ich habe mir Regeln aufgestellt und mir sozusagen ein kleines Gefängnis aufgebaut. Zum Beispiel durften es nur vier Elemente sein, die ich verwende: Drum-Beats, und zwar Computer-Drums, Synthesizer, Stimme und Gitarre – nichts anderes. Und dann nur Englisch, also nicht wieder der Wechsel zwischen den verschiedenen Sprachen, sondern die Konfrontation, nur eine Sprache zu benutzen. Das war so ein bisschen mein Konzept.

MusikBlog: Aber ein Gefängnis? Ist als Künstler nicht die Freiheit das Wichtigste?

Sophie Hunger: Ja, schon! (lacht) Bei mir war es aber immer so, dass ich ganz viele verschiedene Sachen gemacht habe und mir diesmal einfach dachte, dass es interessant wäre, mir ein Korsett anzuziehen. Ich wollte wissen, wie ich darauf reagiere, wenn mir die Freiheit genommen wird. Das macht einen nämlich auch verbindlicher, weil man sich nicht mehr ablenken kann und immer dabei bleiben muss. Manchmal ist das sogar interessanter.

MusikBlog: In Zukunft also öfter?

Sophie Hunger: Es ist mein erstes und einziges Album, das einen Sound und eine klare Linie hat, ich finde es gut. Das hatte ich bisher noch nie. Ich hatte aber auch keine Band im Studio und war komplett isoliert. Das hat alles sehr monolog-mäßig gemacht. Es gab keine Dynamik und niemanden, der mir antworten konnte. Das würde ich beim nächsten Mal anders machen. Ich merke nämlich schon, dass ich irgendwas brauche, das zurückkommt, ein Zusammenspiel und Reaktionen.

MusikBlog: Ein Zusammenspiel wie bei vielen kleinen Molekülen. Deshalb der Albumtitel?

Sophie Hunger: Ich fand das lustig! In der Zeit habe ich mich viel mit Atomen beschäftigt. Kennst du CERN? Das ist in der Schweiz und die suchen mit Hilfe großer Teilchenbeschleuniger nach den kleinsten Partikeln der materiellen Welt. Solche Sachen haben mich in der Zeit sehr beschäftigt und ich habe mich gefragt, ob vielleicht auch Gefühle nur aus Atomen bestehen. Oder auch, ob es bei der Musik Zusammenhänge gibt. Am Ende sind das immerhin auch nur Luftdruck und Frequenzen, Strom und Elektronen.

MusikBlog: In deiner ersten Singleauskopplung „She Makes President“ stellst du Frauen als „Henkerinnen ihrer eigenen Machtergreifung“ dar. Warum?

Sophie Hunger: Ich habe lange vor den US-Wahlen einen Beitrag dazu im Radio gehört, wo gesagt wurde, dass die entscheidende Wahlgruppe die Frauen sein werden, also „she will make the president“. Ich fand diesen Satz, „she makes president“, so gut, dass ich ein Lied mit der Vision von einer starken Frau machen wollte. Das Original war damals auch noch ganz schnell und folkig, mit Dur-Akkorden, ein ziemlich glückliches Lied. Und dann kam die Wahl – das war leider ein Eigentor! (lacht) Den Text habe ich belassen, weil ich einfach an der Vision der Frau festhalten wollte. Die Musik wurde aber dann ganz dunkel, schon fast bedrohlich.

MusikBlog: Also sind die Frauen schuld?

Sophie Hunger: Es sind nicht nur die Frauen, das sieht man jetzt auch bei uns. Es sind einfach verunsicherte Menschen, die bereit dazu sind, sich irgendwie einem Herrscher zu unterwerfen, weil er ihnen im Gegensatz dazu verspricht, sie zu beschützen. Schutz gegen Unterwerfung. Diese Lüge ist einfach aufgegangen.

MusikBlog: Mit einer Lüge also „in control of people’s feelings“, wie es auch in „Tricks“ heißt.

Sophie Hunger: Und dabei sind diese ganzen Tricks manchmal so durchschaubar! Mich da nicht ausgeschlossen. Ich funktioniere auch damit, Kunst ist auch nur ein Trick. Immerhin bin auch ich „in control of people’s feelings“, wenn ich Lieder mache und dadurch versuche, etwas bei den Zuhörern auszulösen. Gleichzeitig frage ich im Refrain aber „what are you gonna do, when your dreams have all come true?“ Worum geht es schlussendlich? Was machen wir, wenn alle Tricks aufgegangen sind? Das ist die Frage.

MusikBlog: Was tun, wenn „There Is Still Pain Left“?

Sophie Hunger: Das ist mega schwierig, wenn ich das wüsste! Ich glaube, ich würde einfach sofort ein Buch schreiben und Milliardär werden! (lacht) Mit dem Song habe ich aber versucht, das Gefühl der Person einzufangen, die neben jemandem steht, der in einer negativen, obsessiven Depression steckt. Wenn man, aus der Perspektive gesehen, jemandem nahesteht, dessen Hauptziel des Lebens darin steckt, dass es immer tiefer geht. Irgendwann fragt man sich dann, ob man selber überhaupt noch wahrgenommen wird. Es ist aber auch etwas übertrieben, da es nicht, wie bei den Tagesthemen, nur eine Beschreibung ist.

MusikBlog: Du meintest, dass „Molecules“ nur auf Englisch ist. In „Elektropolis” heißt es aber „Berlin, du deutsches Zauberwort“.

Sophie Hunger: Das stimmt! (lacht) Berlin ist für mich in dieser ganzen gorilla-mäßigen, giraffen-neoliberalen, großkapitalistischen Zeit einfach irgendwie ein Bollwerk des geistigen Widerstandes. Es hat, glaube ich, damit zu tun, dass hier so viele Brüche stattgefunden haben. Berlin war nie so der Spitzensportler im Wettbewerb. Aber genau deshalb gibt es hier so viele Menschen, die sich sehr wohlfühlen. Hier darf man scheitern. Hier darf man ineffizient sein. Hier muss man nicht an dem Wettbewerb teilnehmen, in dem es heißt: Immer besser, schneller und noch mehr. Man darf hier einen absurden Lebensweg gehen und sich trotzdem aufgehoben fühlen.

MusikBlog: Nach dieser schönen Beschreibung unserer Hauptstadt, ist Berlin für dich jetzt „a place to call home“?

Sophie Hunger: Bisher habe ich das noch nicht geschafft. Ich weiß nicht, ob mir da was fehlt. Das ist mir selber tatsächlich noch so ein kleines Rätsel. Ich verstehe noch nicht ganz, was ich da für eine Meise habe. (lacht)

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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