Mit Kollegen wie Casper, Käptn Peng oder Marteria macht Lukas Strobel alias Alligatoah eine Art von Hip-Hop, dessen Poesie sozialkritisch, gelegentlich gar politisch, aber zugleich äußerst unterhaltsam ist, ohne Parolen zu dreschen. Für eine gute Punchline gibt auch das Nordseeküstengewächs (fast) alles, wie er im Interview zu seiner fünften Platte „Schlaftabletten, Rotwein V“ erzählt. Die Erwartungshaltung ist jedoch nicht nur inhaltlich groß; nach zwei Top-3-Alben zählt der 28-jährige Verwandlungskünstler schließlich auch wirtschaftlich zu den Großen des Hip-Hop. Ein Gespräch über Mitteilungsbedürfnis, Zweckreime, Metaebenen und warum er gern ein Märchenerzähler wäre.
MusikBlog: Lukas, es ist nicht ganz leicht, sich durch dein neues Album zu hören.
Alligatoah: Warum?
MusikBlog: Weil es unfassbar viel Text auf engstem Raum enthält. Ist das dein natürliches Mitteilungsbedürfnis oder steckt alles im Hip-Hop, was du privat nicht ausdrücken kannst?
Alligatoah: Interessanter Ansatz. Ich rede tatsächlich im Alltag sehr viel weniger als auf Alben. Aber genau diese Möglichkeit, so viel Text in der Musik unterzubringen, hat mich zum Rap gebracht. Lange Geschichten mit Beats, Musik, Melodien zu erzählen, interessiert mich seit jeher und war Motivation, die Album-Reihe „Schlaftabletten, Rotwein“ so mit Text vollzuballern, dass es meine Liebe zum Rap zelebriert. Aus dem haben mich viele Leute ja bereits weggestrichen, weil sie meinen, der rappt doch gar nicht und hat auch noch eine Gitarre umhängen.
MusikBlog: Für Puristen reichen ein paar echte Gitarren-Riffs für den Ausschluss?
Alligatoah: In der Tat, das erstaunt mich selber auch. Dabei hatten die Platten zuvor zwar weniger Text als dieses, die Rap-Dichte darauf war aber trotz gesungener Hooks und melodiöser Refrains hoch. Interessanterweise gilt zeitgenössischer Sprechgesang, der nur noch aus Autotune besteht, dennoch eher als Rap.
MusikBlog: Stört dich das?
Alligatoah: Nein, meine Liebe zu ihm ist groß und die wollte ich mit diesem Album untermauern.
MusikBlog: Benutzt du ihn dabei wie einst das „CNN der Schwarzen“ als Medium oder nur als Mittel deines Mitteilungsbedürfnisses?
Alligatoah: Was heißt nur? Ich spiele gern mit Worten, Formulierungen und Ideen, die manchmal abwegig sind, manchmal radikal, vor allem aber anders. Wenn ich damit den einen oder anderen Gedanken anstoße – umso besser. Aber ich habe mich nun mal dazu entschieden, Musiker zu werden, kein Meinungsmacher, der seine Zuhörer zum Entschlüsseln möglichst kryptischer Botschaften bringt. Verglichen mit einem Buch oder Blog wäre das ja ein riesiger Umweg.
MusikBlog: Andererseits haben Songs wie „Füttern verboten“ oder „Meine Hoe“ doch politisch eine Metaebene zu Themen wie Aufmerksamkeitsindustrie oder Gangsta-Machismo?
Alligatoah: Schon, aber nichts liegt mir ferner als marktschreierisch Parolen zu brüllen. Schon weil ich zu vielem, was ich thematisiere, überaus ambivalente Ansichten habe. Als betroffener Beobachter bin ich schließlich nicht unschuldig daran, worüber ich singe. Wenn ich etwa kritisch übers Reisen singe, kann ich mich und meine Mobilität davon ja nicht ausnehmen. Meine Eindrücke in aller Welt haben Abdrücke hinterlassen. Weil jede kritische Auseinandersetzung mit anderen auch mit sich selbst ist, sollte man sich mit Empfehlungen zurückhalten.
MusikBlog: Aber heißt es nicht, deine Texte seien gar nicht autobiografisch?
Alligatoah: Trotzdem sind es doch meine Beobachtungen aus meiner Perspektive auf meine Welt, die damit auch mich betreffen. Insofern, hat dieses Album mehr Verbindungen zu mir als die anderen. Ich verrate aber natürlich nicht wo.
MusikBlog: Fühlst du dich als jemand, dessen Stimme nicht nur von vielen gehört, sondern auch ernst genommen wird, verantwortlich für die Stimmungslage da draußen?
Alligatoah: Verantwortung hat doch verschiedene Richtungen. Viele raten mir, mich für junge Zuhörer verantwortlich zu fühlen, die meine Ironie womöglich nicht verstehen. Andere erwarten, dass ich mich mit klaren Statements zur politischen Lage positioniere. Genauso gut könnte ich mich aber denjenigen verpflichtet fühlen, die halt einfach auf derben Humor stehen und nicht auch noch auf Platte von den Nachrichten belästigt werden wollen. Weil man es nie allen recht machen kann, hab ich für mich entschieden, nur mir selbst gegenüber Verantwortung zu übernehmen. Das kann zwar auch kontrovers werden, muss es aber nicht.
MusikBlog: Du entwickelst also kein automatisches Bedürfnis, deine Position als Medium zu nutzen, um beispielsweise die Ereignisse in Chemnitz zu kommentieren?
Alligatoah: Klar entwickle ich so was. Aber die Reaktionszeit, Dinge, die auf mich einwirken und inspirieren, in Songs umzusetzen, ist bei mir extrem lang. Ich bin kein Impulsrapper, der sich bei einem Ereignis sofort hinsetzt und was dazu aufschreibt. Ich handle generell selten im Affekt, sondern beobachte sehr abwartend und entwickle daraus ausgewogene Bilder, die in alle Richtungen blicken. Das war mir schon immer wichtig.
MusikBlog: Im Opener von „Schlaftabletten, Rotwein V“ heißt es, „Rap braucht wieder einen Märchenerzähler“. Bist du das?
Alligatoah: Vielleicht ja. Ich erzähle zwar recht derbe Märchen, die thematisch durchaus politische Komponenten enthalten. Aber schon, weil man zu ihrer Zeit vieles nicht offen aussprechen durfte, sind ja auch die der Gebrüder Grimm keineswegs unpolitisch. Vorausgesetzt, dass es nicht nur süße Prinzessinnen-Geschichten sind, wäre ich gerne Märchenerzähler.
MusikBlog: Was wäre dir dabei wichtiger: Metaphorik und Zusammenhang oder Poesie und Punchlines?
Alligatoah: Ich bin ein großer Fan von Zweckreimen, damit kann man mich also nicht bloßstellen. Ich liebe es, die Sprache zu verbiegen und grammatikalisch zu entfremden, um sie klangvoller zu machen. Ich folge dem Wortklang manchmal mehr als dessen tieferer Bedeutung oder andersrum – erst durch Wortklänge stoße ich oftmals auf Bedeutungen. All dies in eine stimmige Struktur bringen zu wollen, ist der Grund, warum ich solange an Texten knabbere.
MusikBlog: Hast du dafür, wenn schon keine Vorbilder, dann doch Referenzgrößen?
Alligatoah: Ich werde oft damit konfrontiert, in der Tradition von Künstlern zu stehen, die ich selbst kaum kenne. Meine Songs sollen zum Beispiel manchmal klingen wie die Ärzte. Oder Fettes Brot. Kann sein, hab ich aber beides nie wirklich gehört. Umso mehr freue ich mich immer, Bands kennenzulernen, von denen ich angeblich inspiriert wurde. Hast du noch eine?
MusikBlog: Fishmob zum Beispiel.
Alligatoah: Sagt mir nur vom Namen her was.
MusikBlog: Eine der ersten deutschen Rap-Bands, die Hip-Hop mit Rock und Techno verbunden haben.
Alligatoah: Dann muss ich mir die unbedingt mal anhören, danke schön. Man nimmt am Ende oft mehr mit nach Hause als erwartet…
MusikBlog: Was erwarten deine Fans denn nun vornehmlich von dir – Diskurs oder Spaß?
Alligatoah: Meine Hörerschaft erwartet, glaube ich, vor allem, sich mit Bleistift und Zettel vor meine Texte zu setzen und Zeile für Zeile zu enträtseln. Auf Seiten wie „Genius“ entdecke ich dann manchmal Zusammenhänge eigener Gedanken, die mir selbst gar nicht bewusst waren. Leute, die schnellverständlichen Pop erwarten, hab ich so vermutlich von meinen Konzerten vergrault – dafür muss ich noch nicht mal zu Beginn 30 Minuten Flachwitze über Kot reißen.
MusikBlog: Abgesehen vom Inhalt ist aber auch die Show eher großes Theater als kleiner Rap.
Alligatoah: Die logische Fortführung davon, textlich in verschiedene Rollen zu schlüpfen, ist es, auch auf der Bühne kostümiert zu sein. Aber das absurde Theater wird durch die Songs zusammengehalten.
MusikBlog: Nach zwei Top-3-Alben infolge gibt es zu deiner Musik längst auch wirtschaftliche Erwartungshaltungen. Kriegst du die beim neuen Album zu spüren?
Alligatoah: Der Vertrieb möchte sicher gute Zahlen sehen, aber gottseidank bin ich bei einem Independent-Label. Künstlerisch habe ich sämtliche Freiheiten und Leute hinter mir, die wissen, dass ich nur dann abliefern kann. Ich kümmer‘ mich um Worte, nicht um Zahlen.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.