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Wir wollen nicht den absoluten Tiefpunkt darstellen – Theodor Shitstorm im Interview

Das Duo im Allgemeinen war mal so etwas wie eine Institution in der Popmusik. Allerdings haben die Simon & Garfunkels, Sonny & Chers und Ike & Tina Turners dieser Welt schon vor Jahrzehnten, damals als es sie noch gab, höchst selten Deutsch gesungen.

Die Singer/Songwriterin Desiree Klauekens und der unter anderem mit einem Silbernen Bären ausgezeichnete Regisseur Dietrich Brüggemann treten jetzt mit Theodor Shitstorm und dem dazugehörigen Album „Sie Werden Dich Lieben“ an, um anspruchsvolle Popmusik und das deutschsprachige Duett miteinander bekanntzumachen. Wir haben mit Dietrich über das Scheitern, Reinhard Mey und deutsche Erzähltradition gesprochen.

MusikBlog: Dietrich, hast du genug vom Filmemachen? Oder warum bist du jetzt unter die Musiker gegangen?

Dietrich: Das schöne ist, dass ich sowas jetzt endlich mal mache. Ich bin am Klavier groß geworden und wollte das immer, aber habe eben auch viel andere Dinge gemacht. Es ist einfach sehr erfrischend, mal nur Musik zu machen. Filme machen ist wahnsinnig viel Arbeit, dauert ewig und frisst einen total auf. Eine Platte zu machen, war im Vergleich dazu eher ein Spaziergang. Aber Film mache ich natürlich immer noch sehr gerne, so ist es nicht, das ist eher ein Luxusproblem.

MusikBlog: Ist die kreative Arbeit in beiden Berufen vergleichbar?

Dietrich: Ein Song muss in drei Minuten viel weniger leisten als ein Film in 90 Minuten, aber er hat natürlich auch immer eine Dramaturgie, also eine Erzählung, die von irgendwo nach irgendwo anders geht. An sich ist Song- und Filmschreiben also kein Riesenunterschied.

MusikBlog: Desiree ist ja nun schon ziemlich lange als Singer/Songwriterin unterwegs und erfolgreich. Gibt’s Stress, wenn ihr mit zwei so unterschiedlichen Backgrounds und Herangehensweisen gemeinsam Songs schreibt?

Dietrich: Also, wir sind völlig ehrlich zueinander. Das ist aber selten ein Problem, weil wir uns ja gegenseitig erstmal gut finden. Also da ist schon so eine gemeinsame Linie, so dass das in eine gemeinsame Richtung geht. Wir sind auch beide keine Diven, wir haben da eher so ein gemeinsames Band-Ego.

MusikBlog: Wie kam’s denn überhaupt zu dieser Symbiose?

Dietrich: Ich veranstalte in Berlin immer wieder einen Abend, an dem Musikvideos gezeigt werden, und da kam Desiree vor ein paar Jahren mal mit einem Video an. Wir haben uns angefreundet, dann habe ich sie in zwei Filmen besetzt und irgendwann hatten wir dann die Schnapsidee: Komm wir setzen uns jetzt in’s Auto, fahren an den Balkan und schreiben Songs.

MusikBlog: Und aus diesem Roadtrip ist dann tatsächlich die Platte entstanden?

Dietrich: Ja! Wir sind mit nichts losgefahren. Die Songs sind unterwegs entstanden, ein paar auch danach.

MusikBlog: Und eine Panne hattet ihr auch gleich? Ein Song auf dem Album heißt zumindest „Getriebeschaden in der Slowakei“.

Dietrich: Ja, die spannendsten Geschichten sind natürlich ohnehin die vom Scheitern. Das ist der Kontrast zwischen Erlebnisqualität und erzählerischer Qualität. Es geht uns aber natürlich auch um Strategien, wie man damit umgeht. Jeder kennt das, dass Dinge kaputtgehen, dass man scheitert oder nicht so perfekt ist, wie alle anderen auf Facebook und Instagram. Der Song handelt eigentlich vom trotzigen Durchhalten und davon, die Komik darin zu finden.

MusikBlog: Du sprichst von Facebook und Instagram an. Ist Aktualität wichtig für euch?

Dietrich: Wir interessieren uns für die Zeit, in der wir leben, aber wir wollen keine platt-politischen Lieder singen, in denen wir sagen, der Politiker ist doof oder nicht. Ich habe das Gefühl, Musik und Kunst hat das Potential, da interessanter um die Ecke zu denken. Man sieht, wie die Welt untergeht und man selbst ist an allem irgendwie schuld. Alles hängt mit allem irgendwie zusammen und man kommt nicht raus aus der Nummer, egal ob Erderwärmung, Artensterben oder Krieg. Und ich glaube ein Lied wie „Schuld“, das aus absurden Schuldzuweisungen besteht, die aber alle irgendwie auch Sinn machen, ist das Zutreffendste, was man zum Leben heutzutage sagen kann. Natürlich ist auch der Shitstorm sowas wie das Lebensgefühl unserer Zeit. Das heißt nicht, dass wir die ganze Zeit davon singen, aber trotzdem hat er im Bandnamen seinen Platz gefunden.

MusikBlog: Ah ok, das heißt, Theodor Shitstorm ist mehr als ein Wortspiel für euch?

Dietrich: Auf jeden Fall! Der Shitstorm steht natürlich auch für “Auf die Fresse” und dafür, dass wir keine Gefangenen machen wollen in den Songs. Auf der anderen Seite steckt mit Theodor Storm natürlich auch die Tradition deutscher Literatur im Namen, die sowohl eine Erzähltradition, als auch die Tradition eines innigen Empfindens, einer romantischen Seele sozusagen, ist.

MusikBlog: Theodor Storm steht als Realist des 19. Jahrhunderts ja auch in engem Zusammenhang mit dem sich damals etablierenden Gesellschaftsroman. Ist dieser Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft ein Einfluss, der sich thematisch in eurer neuen Single „Rock’n’Roll“ niederschlägt?

Dietrich: Erwartungen und Ansprüche, die von außen an einen herangetragen werden, sind auf jeden Fall ein Thema für uns, aber gerade auch in „Rock’n’Roll“ geht’s außerdem um die Seligpreisungen der Popkultur. Party, Selbstzerstörung und endlose Nacht werden ja immer wieder gefeiert und wir haben das auf eine comic-hafte Art überdreht. Die Skepsis gegenüber diesen Ratschlägen bleibt aber natürlich erhalten. Wie man live feststellen konnte, ist „Rock’n’Roll“ außerdem auch ein sehr gut funktionierendes Sauflied geworden, muss man leider sagen.

MusikBlog: Du singst „Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey“. Ist er ein Einfluss für euch und wer außer ihm?

Dietrich: Na klar ist Reinhard Mey ein Held, er ist schon so eine symbolische Vaterfigur für alle, die in Deutschland Musik machen und auf Deutsch singen. Auch wenn man das nicht als stolzes Vorbild hervorholt, weil Reinhard Mey irgendwie uncool ist. Ansonsten kommen wir musikalisch aus anderen Ecken. Desiree ist eher singer-songwriter-indie-verwurzelt und ich komme eigentlich aus der klassischen Musik. Theodor Shitstorm ist die Schnittmenge von dem, was wir beide mögen und können.

MusikBlog: Theodor Storm. Reinhard Mey. Ihr seht euch in der Tradition deutscher Geschichtenerzähler?

Dietrich: Klar, da geht schon so eine Linie von den ganzen Alt-Rockern über die Hamburger Schule um den Grand Hotel van Cleef-Bereich zum heutigen Indie-Bereich um Gisbert zu Knyphausen. Aber auch Gestalten wie Käptn Peng gehören ja irgendwie dazu. Ich glaube, das ist so eine Linie, die viele Kurven und ab und zu eine Schleife macht, aber irgendwo in dieser Linie stehen wir auch und wir wollen da natürlich nicht den absoluten Tiefpunkt darstellen. Wir haben schon den Ehrgeiz, dass das ein guter Beitrag ist.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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