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Ilgen-Nur – Power Nap

Den Blick auf das Kleine und Unscheinbare zu richten und den Zauber des Alltäglichen einzufangen, gehört seit jeher zur Popkultur. Genauso, wie Banalitäten ins Kostüm großer Gesten zu hüllen. Dass das Profane, wie zum Beispiel Liebeskummer, der Einkauf im Supermarkt, Begegnungen mit Fremden oder das Versacken vor dem Fernseher, ziemlich aufregend sein kann, zeigt Ilgen-Nur auf ihrem Debütalbum „Power Nap“.

Der Nachfolger ihrer EP „No Emotions“ hüllt schlichte Tagebuchskizzen in ein schillerndes Power-Pop-Gewand. Druckvoll, aber niemals erdrückend, versucht „Power Nap“, den flüchtigen Ängsten und Wünschen einer Heranwachsenden poetisches Gewicht zu verleihen.

Ist es besser allein zu sein oder in Gesellschaft, rauszugehen oder doch lieber im Bett zu bleiben? Es sind Fragen einer in Monotonie versinkenden Alltagsbeobachterin, der sogar der vergessene Einkauf zur Songvorlage werden kann: „It’s a sunday and I forgot to get my groceries before the shop closed.“

Die Art und Weise, wie Ilgen-Nur Borali dem vermeintlich Irrelevanten Bedeutung verleiht, zeugt von einem Gespür für die Formel großer Pop-Kunst. Jeder der Songs auf „Power Nap“ bleibt für eine Weile im Gehörgang kleben – ohne ihn zu verkleben. Eben Pop.

Dieser wird jedoch von wuchtigem Indie-Rock getragen, so dass man sich seiner Sogwirkung schwer entziehen kann: „There is no easy way out“. Der Bass drückt, die Gitarren leuchten und die Drums holen uns immer wieder ein.

Außer beim Albumfinale „Deep Thoughts“. Da schmiegt sich ein sanft gestreicheltes Klavier den Gedanken der Sängerin an, deren unaufgeregte Stimme bei allem stets im Vordergrund bleibt.

Nimmt man den Titel der Platte ernst, fragt man sich, worum es hier eigentlich geht. Denn Sound und Botschaft scheinen sich zu widersprechen. „Power Nap“ ist ein Begriff aus dem Vokabular einer auf Leistung getrimmten Gesellschaft. Man schläft ein Weilchen, um danach wieder voll und ganz der Arbeitswelt zur Verfügung zu stehen.

Von dieser will Ilgen-Nur aber eigentlich nichts wissen, sondern lieber Zeit in ihrem Kopf verbringen: „I spend my days in my head / reliving moments that I intend to forget“. Ihre Praxis des Turbo-Schläfchens dient also eher dazu, genug Energie zu haben, Momente ins Ewige zu strecken: „I want to cherish this moment forever“, heißt es in „Soft Chair“.

Für die zehn Songs bekam die Musikerin Unterstützung von Indie-Rock-Zeitgenossen wie Max Rieger von Die Nerven, der schon die Vorgänger-EP „No Emotions“ produziert hat, an der Gitarre hört man Trümmers Frontmann Paul Pötsch und am Bass Laurens Bauer von Erregung Öffentlicher Erregung. Allesamt Männer.

Und das, obwohl die Rolle der Frauen in der Musikbranche Ilgen-Nur eigentlich wichtig ist, wie sie in Interviews häufig betont. Vielleicht ist das aber auch egal, solange sie bei allem die Oberhand behält?

Hoffentlich bleibt das so. Denn auch, wenn sie von der Musikpresse den Titel Slacker-Queen verliehen bekommen hat, nur chillen kann die Künstlerin schon lange nicht mehr. Und das wird mit ihrem Debütalbum sicher so bleiben.

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