Im Leben eines Musikfans gibt es immer denselben Ablauf: man hört, dass Künstler XY ein Album rausbringt und freut sich schon Wochen vorher darüber. Sehnlichst fiebert man auf den Release-Tag hin und kann es kaum erwarten, das Album zum ersten Mal zu hören.

Dieses Prinzip war bis dato fast immer Gesetz, wurde aber in den letzten Jahren immer wieder gebrochen. So nun auch von der Antilopen Gang. Die Band, bestehend aus den drei Musikern Koljah, Panik Panzer und Danger Dan veröffentlichte am Freitag ohne großes Tamtam ihr mittlerweile fünftes Studioalbum.

„Adrenochrom” entstand spontan während der Corona-bedingten Isolation und kann als humoristischer Spiegel der Weltsituation angesehen werden.

Während draußen sich die Menschen um die letzten Rollen Klopapier stritten, es kiloweise Nudeln zum Mittag gab und Aluhüte wieder zum It-Piece der Gesellschaft wurden, schloss sich das Trio im Tonstudio ein und stampfte 12 herrliche Songs und einige Skits aus dem Boden.

„Adrenochrom“ ist übrigens ein Name für ein Stoffwechselprodukt des Hormons Adrenalin und Gegenstand der QAnon-Verschwörungstheorie, nach der Kinder im großen Stil von mächtigen Kreisen entführt werden, um ihnen die Substanz abzuzapfen und damit den Schlüssel zu ewiger Jugend zu erlangen.

Und so skurril und wahnwitzig wie diese Theorie klingt, können auch teilweise die Texte auf dem Album angesehen werden. Sie sind lustig, aber immer mit einem Stück Ernsthaftigkeit versehen.

Die Antilopen Gang ist seit Jahren kaum aus dem Musikkosmos wegzudenken, dennoch wurden sie nie in den großen Deutschrap-Olymp hinaufgetragen. Zu unrecht!

Allein der Opener „Plan B“ macht deutlich, wozu das Trio im Stande ist und nimmt es mit viel Humor: „Kurswechsel Antilopen rollen das Feld auf von hinten – Plan B wir ziehen in den Krieg – Bombardement auf die Musikindustrie […] Noch immer ist es Antilopen Untergrundmusik“.

„Army Parka“, das als erste Singleauskopplung mit Musikvideo erschien, ist auch einer dieser Tracks auf „Adrenochrom“, die von Witz und zugleich Kritik strotzen.

Als Kleinkriminelle ziehen sie tagsüber durch das Berliner KDW und klauen alles, was nicht niet- und nagelfest ist. „Ja ich hab das Prada Luna Rossa Spray Eau de Toilette – Grade ohne dass es jemand sah in meinen Strumpf gesteckt“ – Reime, die kontrovers zu den handelsüblichen „Baller Baller-Bling Bling-Gangster-Lyrics“ anderer Künstler stehen und zeigen, dass Hip-Hop nicht immer mit einem gewissen Status einher geht.

Passend zum Album wurde „Adrenochrom“ die letzten Tage vor dem Release unter anderem mit ein paar gelb gefärbten Videos von bekannten Verschwörungsmystikern wie z.B. Xavier Naidoo oder Raoul Duke aus Fear and Loathing in Las Vegas angeteasert.

Aber auch dieses aktuelle Thema wird auf dem Album angesprochen. So bekommen Verschwörungstheoretiker bei „Hokus Pokus“, „Kritisch hinterfragt“ und „Globuli“ ordentlich ihr Fett weg. „Deine Gang erkennt man an Verfolgungswahn und Aluhut. Ich baller mir das Adrenochrom!“

Aber auch andere Gesellschaftsphänomene bleiben nicht unerhört. „Ich radel‘ mit dem Lidl-Bike-Sharing-Fahrrad durch die Stadt – Halte einen Dirty-Chai aus dem Starbucks in der Hand – Durch die Versace-Replikat-Sonnenbrille seh ich klar – Ich geh nie wieder zur Arbeit, sondern chille jeden Tag“ sinniert das Trio bei „Dirty Chai“ über die neue Generation Jugendlicher, wobei „Warum sollte ich“ jene Gesellschaftsgruppe beschreibt, denen alles egal ist.

„Adrenochrom“ ist ausschließlich digital erhältlich. Die Entscheidung auf ein physisches Release zu verzichten, erklärt die Antilopen Gang wie folgt: „Wir haben das Album im Internet geschrieben und nun geben wir es dem Internet zurück. Das Internet hat uns durch diese schwere Zeit gebracht, wir sind es ihm schuldig.“

Danke Internet!

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