Was ist denn da los? Auf dem Cover des jüngsten Albums von PVRIS fehlt ja die Band! Lediglich das Konterfei von Frontsängerin Lynn Gunn blickt uns da entgegen – beziehungsweise an uns vorbei – und visualisiert so den Anbruch der neuen Ära, die durch „Use Me“ für die Gruppe eingeläutet wird.
Es wird viel geschrieben über die Benachteiligung von Frauen in der Musikindustrie, getan wird wenig – und gemessen wird immer noch mit zweierlei Maß. Umso bewundernswerter ist es, wenn eigentlich schüchterne Musikerinnen wie Lynn Gunn sich endlich von falscher Bescheidenheit trennen und den Credit einheimsen, den sie auch verdienen.
Bislang hat sich diese nämlich als Teil ihrer Band inszeniert, als ein Zahnrad im größeren Ganzen. Nun ist sie soweit, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.Vollkommen zurecht, denn ihre Geschichten und Gefühle sind das Herzstück der Musik von PVRIS machen auch „Use Me“ aus.
Gunn lässt nämlich tief blicken. Aus ihren psychischen Problemen hat sie nie einen Hehl gemacht. Songs wie „Good To Be Alive“ zeigen, dass der Kampf trotz des neuen Selbstbewusstseins nicht ausgestanden ist: „Is this body even mine? / Feels good to be alive, but I hate my life.“ Autsch.
Ähnlich fatalistisch gibt sie sich auf dem Trennungs-Track „Loveless“, auf dem sie gequält haucht „I cried out an ocean for you / You’re probably fine now / And not even hurtin’“, während eine zurückhaltende Gitarre für die passende Untermalung sorgt.
Es wird aber nicht nur lamentiert. Generell lässt sich sogar sagen, dass Wut und Getriebenheit auf dieser Platte vorherrschen. „Dead Weight“, eines der Album-Highlights, beispielsweise ist fetter Mittelfinger in Richtung der Leute, die Gunn ausgenutzt und sie in ihrer Entwicklung zurückgehalten haben.
„Use Me“ ist damit ein Album, das von Gratwanderungen in mehrerlei Hinsicht geprägt ist. Neben dem Spannungsfeld Optimismus und Depression und der Frage, ob das Ganze noch das Werk einer Band oder schon das einer Solokünstlerin mit Aushilfsmusikern ist, ist die Platte auch musikalisch ein Drahtseilakt.
Denn PVRIS sagen zwar, sie hätten sich mit der neuen Platte aus ihrer Komfortzone bewegt, irgendwie wirken die Konstrukte aus Synthesizer-Sounds, Glitzer-Gitarren und Echo-Effekten über Power-Pop-Vocals dann aber doch wie ein ziemlich komfortabel aufgeplustertes Kissen.
Lynn Gunn versteckt sich Gott sei Dank nicht mehr hinter ihren männlichen Kollegen, dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass sie die teils überbordende Produktion und Instrumentierung als neues Schutzschild zwischen sich und den Hörer*innen nutzt.
Das macht „Use Me“ nicht zwangsläufig schlecht und ihre Wut und Trauer zwar tanzbarer, aber emotional leider weniger zugänglich.