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Dann ist da auch nicht viel Hoffnung – Everything Everything im Interview

Ein neuer Produzent mit Back-to-basics-Visionen (John Cogleton), Inspirationsquellen aus dem Reich der Psychologie und ein verheerender Brand im Band-Hauptquartier: Rund um die Entstehung des neuen Everything Everything-Albums “Re-Animator” haben die Bandmitglieder Jonathan Higgs, Alex Robertshaw, Jeremy Pritchard und Michael Spearman so einiges mitgemacht. Wir trafen Frontmann Jonathan zum Interview und sprachen über musikalische Wiederbelebungsversuche und die spannende Welt der bikameralen Psyche.

MusikBlog: Jonathan, verrückte und angsteinflößende Wochen liegen hinter uns. Es ist auch noch nicht wirklich ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Wie hast du die letzten Wochen und Monate erlebt?

Jonathan Higgs: Um ehrlich zu sein, habe ich persönlich gar keine so große Veränderung in meinem Leben wahrgenommen. Als das alles anfing, schraubten wir gerade an den letzten Ecken des Albums. Die letzten Wochen und Monate habe ich fast ausschließlich mit Promo-Arbeiten und dem Produzieren von Videos verbracht. Ich war also ziemlich beschäftigt.

MusikBlog: Du hast dich also nicht mit der Frage beschäftigt, ob und wie wir aus diesem ganzen Schlamassel wieder rauskommen?

Jonathan Higgs: Nein, nicht wirklich. Und wenn ich es tue, dann ist da auch nicht viel Hoffnung. Ich meine, für die Umwelt ist diese Krise natürlich ein Segen. Aber für die meisten Menschen ist sie ein Desaster. Und dennoch werden wir wohl nichts daraus lernen. Es werden weitere Dinge passieren, die uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Diese Pandemie wird sicherlich nicht die Letzte sein. Damit müssen wir einfach leben.

MusikBlog: Das neue Album trägt den Titel “Re-Animator”. Ich weiß nicht genau warum, aber irgendwie passt der Titel perfekt in die Zeit. Es geht ums Wiederbeleben. Ist da doch ein Anflug von Hoffnung erkennbar?

Jonathan Higgs: Wenn, dann steckt da keine Absicht hinter. (lacht) Ich weiß nicht, wir leben schon ganz lange in Zeiten, in denen es primär darum geht, morgens aufzuwachen und sich dann am Tag für das Drücken der richtigen Knöpfe zu entscheiden. Wir stehen irgendwie alle am Fließband. Auf dem Album geht es um Momente des Ausbruchs. Es geht darum, wieder am echten Leben teilzuhaben, sich und seine Umwelt wiederzubeleben und aufzuwachen.

MusikBlog: In punkto Inspiration hast du dich der Lektüren des bekannten Psychologen Julian Jaynes bedient. Der beschäftigt sich gerne mit Theorien zur bikameralen Psyche. Was fasziniert dich so an der Vorstellung mit zwei unabhängig voneinander agierenden Gehirnhälften durchs Leben zu gehen?

Jonathan Higgs: Es ist einfach eine atemberaubende Vorstellung. Diese Theorien lassen ganz neue Dimensionen des Bewusstseins entstehen. Und es gibt so viele Hinweise, dass das alles nicht nur irgendwelche Hirngespinste sind. Es geht um Persönlichkeitsentwicklung, um eine neue Form der Freiheit. Zwei gespaltene Gehirne, das Gefühl, dass sich in der Tiefe des Inneren zwei verschiedene Persönlichkeiten duellieren: Das sind doch reale Zustände. Es gibt Millionen Menschen, die sich von inneren Stimmen leiten lassen.

MusikBlog: Wie herausfordernd war es, für dieses umfangreiche Konzept, den richtigen Sound zu finden?

Jonathan Higgs: Wir haben uns diesmal für einen anderen Produktionsweg entschieden. Wir haben alle Laptops ausgestöpselt und all die technischen Hilfsmittel, die man heutzutage nur allzu gerne nutzt, draußen gelassen. Wir haben uns auf mehr auf die Basics konzentriert, mit Gitarren gearbeitet, und Songs am Piano entstehen lassen. Ob das herausfordernder war, kann ich dir gar nicht genau sagen. Es war aber definitiv ein sehr positives Arbeiten, mit guten Vibes und Leuten um uns herum, die Spaß hatten.

MusikBlog: Ein ganz wichtiger Supporter des Ganzen war Produzent John Cogleton (St. Vincent, Sharon Van Etten). Wie lief die Zusammenarbeit?

Jonathan Higgs: John war ein ganz wichtiges Puzzlestück. Er hat schon viele tolle Alben produziert. Wir waren wirklich happy, als wir wussten, dass wir das Album mit ihm angehen werden. Er hat uns dabei geholfen, uns wieder mehr mit den Grundlagen des Songwritings anzufreunden. Es ging wieder vermehrt um den Klang der Stimme, den Sound der Instrumente und die Verbindung zwischen Rhythmus und Melodie.

MusikBlog: Als würden Corona, eine neuer Produzent und die Bücher von Julian Jaynes nicht schon genug neuen Staub aufwirbeln, musstet ihr euch nach den Aufnahmen auch noch mit den Folgen eines Proberaum-Brandes rumschlagen. Verletzt wurde aber zum Glück niemand, richtig?

Jonathan Higgs: Ja, verletzt wurde zum Glück keiner. Das ist natürlich das Wichtigste. Alles andere kann man irgendwie ersetzen. Sicher, an manchen Gitarren und Bässen hingen schöne Erinnerungen. Aber so ist das nun mal. Es ist ja auch nicht alles zerstört worden. Vieles konnte gerettet werden. Momentan sind wir ja eh nicht so viel unterwegs. Kurz vor einer Tour wäre es natürlich wesentlich schlimmer gewesen.

MusikBlog: Apropos Tour: Wie sieht denn jetzt bei euch die nähere Zukunft aus?

Jonathan Higgs: Wir werden versuchen, einige Livestreams auf die Beine zu stellen. Dann werden wir den Rest des Jahres mit dem Schreiben neuer Songs verbringen. Irgendwann wird es dann an die Planung für 2021 gehen. Wie die genau aussieht, steht aber noch in den Sternen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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