Voll, aber gar nicht kuschelig ist es im Backyard vom Molotow. Endlich wieder Live-Musik. Ein Hoffnungsschimmer. Im Sitzen unter freien Himmel. Bei gemütlichen 11 Grad. Mit Talk Show.

Immerhin regnet es nicht. Biergartenbetrieb ist hier schon länger, seit einigen Wochen auch wieder Konzerte. Sichererer Fluchtpunkt auf St. Pauli. Sehr viel Respekt, Abstand, Masken, romantische Lichterketten. Vorbildlicher als hier ist es kaum woanders.

Bereits um 18:00 Uhr mehr Leute in der Schlange als reindürfen. Wie es sich jedoch bei maximal 70 Gästen finanziell rechnet, möchte man sich gar nicht vorstellen. Toll, dass das Molotow es trotzdem macht.

DAMEFRISØR macht den Anfang. Sechs junge Herren aus Bristol. Überbetont leger und abgebrüht cool. Klamotten ganz sicher aus einem Pick’n Weight.

Ein dichter Teppich mit dreckigem Schnarren. Dazu gesetzter pointierter Gesang. Vielschichtiger Post-Punk. Schöner Einstieg bringt Energie gegen die Kälte.

„Our first show out of England“. Wie gerne wären sie dann auch wirklich abgebrüht. Kazhi am Micro übernimmt die Gesamtverantwortung für die Show. Sein betontes Anti-Charisma schafft es nicht, sein existierendes Charisma vollständig zu überlagern.

Die restliche Truppe spielt betont gelangweilt auf den Punkt. Keyboarder Sam ist vermutlich gar nicht physikalisch auf der Bühne und nur eine Illusion. Die Stimmlage variiert von Sprechgesang über Dramatik und düsteren Tonfall mit Goth-Anleihen. Die Band passt sich dem jeweils an.

Das Highlight der Abschlusstrack. Langsam reduzierter Bass und Drums zum Beginn. Einzelne Worte aneinandergereiht. Der konstante Aufbau in die Verdichtung geht super ins Ohr und den Bauch. Gut gelungene musikalische Pointe zum Abschluss der knappen 30 Minuten. Von den Jungs könnten wir in Zukunft wieder hören.

Talk Show knallt danach ohne Vorspiel direkt in die Vollen. Haben wir ein echtes Scheiss-Jahr für alle Bands und die ganze Branche? Keine Ahnung. Die vier aus London haben eine Bühne und nur dort ist das Jetzt. Und das ist geil.

Allesamt bestgelaunt und aufgekratzt. Cleo an den Drums platzt förmlich vor Grinsen. „Eins, zwei, drei, vier“. Das bisschen Deutsch muss sie sofort maximal einsetzen. Und freut sich darüber wie ein Honigkuchen.

Mit „Fear“ krachen sie gleich richtig. Die Melodik tritt in den Hintergrund, geht aber nicht verloren. Ganz untätig waren sie nicht. Seit Anfang des Jahres haben sie immerhin vier neue Tracks mitgebracht und mischen sie unter Bekanntes.

Knüppeldichtes, stoisches Brett wechselt mit intelligenter Melodie. Komplexität und Tanzbarkeit füllen den Innengarten. Gewaltiger Post-Punk mit düsteren New-Wave-Einschlägen.

„I wonder what they told ya, told ya, told ya, if you’re telling the truth“. Kaum eine Sekunde hält Harrison still. Zappelnd an der Bühnenkante belehrt er die Welt mit geknurrten Worten.

Chloe McGregor an den Drums und Harrison Swann am Micro teilen sich die Aufmerksamkeit auf der Bühne. Die strahlende Gute-Laune-Energiemaschine holt unglaublich viel aus dem reduzierten Drumkit raus und freut sich dabei einfach über alles.

Und der Geschichtenerzähler mit beweglicher Hüfte und mahnendem Zeigefinger ist echt aufgebracht und irgendwie freundlich wütend. Die musikalische Spannung zwischen den beiden knistert förmlich.

Bei „Stress“ verdichtet sich der Sound unter der lakonisch eintönigen Stimme immer weiter. Um beim Abschlusstrack „Fast And Loud“ endgültig zu explodieren. Ihre allererste Single ist genau das. Schnell und Laut. „Ha!! Ha!! Ha!! Ha!!“ dröhnt es hinaus in die Nacht. Die Bierbank wird förmlich zur Folterbank. Sitzenbleiben ist schwer.

Dann auch schon vorbei nach etwas mehr als einer halben Stunde. Da braucht es deutlich noch etwas Hausaufgaben und neue Stücke. Bis auf einen Track haben sie ihr gesamtes Material gespielt.

Publikum dennoch voll abgeholt, langanhaltender Applaus. Die Schlange für die EP geht einmal durch den ganzen Innenhof. Band auch superglücklich. „Wie geil war das heute Abend. Wir haben schon schlechtere Gigs vor weniger Leuten gespielt“.

Wie schön, dass es Inseln gibt, in denen sich solche Veranstaltungen umsetzen lassen. Daumen drücken, dass das nur der Anfang ist und das kulturelle Leben sukzessive wieder hochfährt und nicht wieder mehr wegbricht.

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