Auf eine gefeierte, vielversprechende Debüt-EP folgt normalerweise ziemlich flott der erste Longplayer – nicht so bei Anna B Savage. Nachdem diese 2015 mit der schlicht betitelten „EP“ sowohl Father John Misty als auch Jenny Hval derart begeisterte, dass diese sie zu ihren jeweiligen Europa-Dates einluden, wurde es still um die Londonerin.
Ihr erster Longplayer „A Common Turn“ beweist mal wieder: Geduld zahlt sich aus.
Dass Anna B Savage an ihrem Erfolg ziemlich zu knabbern hatte, weil sie am Hochstapler-Syndrom – der Überzeugung, der eigene Erfolg sei nicht verdient – litt, in ein ziemlich tiefes Loch fiel und daran zweifelte, jemals wieder Musik zu machen, mag man kaum glauben.
Denn schon bei den ersten Klängen des Openers „A Steady Warmth“ merkt man, dass da etwas ganz Besonderes vor einem liegt. Die tiefe, dunkle Stimme, der mysteriösen Sound, die brennende Frage „Do I understand this?“: Das alles klingt, als wäre Savage nicht von dieser Welt.
Wer jetzt eine total lebensfremde, abgespacte Platte erwartet, hat sich aber gewaltig geschnitten, denn Savage hat auch ganz weltliche Probleme abseits erkenntnistheoretischer Fragen, bei denen sie kein Blatt vor den Mund nimmt.
So zum Beispiel die toxische Beziehung, welche sie ihr Selbstvertrauen gekostet hat und die sie in dem ebenso imposanten wie eingängigen „A Common Tern“ verarbeitet.
Auch „Chelsea Hotel #3“, ein genialer und zugleich witziger Verweis auf den großartigen Leonard Cohen, zeigt: Die kleinen und großen Katastrophen des Lebens – in diesem Fall ganz schön misslungener Oralverkehr und der daraus resultierende Wunsch nach sexueller Befreiung – kann man in einem zarten, zauberhaften Song verpacken.
Mit seinen Akustikgitarren, den kunstvollen Synths und der sich opernhaft windenden Stimme ist „A Common Turn“ also so gar nicht common: Es ist eine Art-Pop-LP, die immer wieder überrascht, mal ziemlich geerdet und dann wieder überraschend experimentell daherkommt.
Denn Anna B Savage wirft alles in die Waagschale: Brutale Ehrlichkeit und absolute Verletzlichkeit, Sonderbarkeiten und Banalitäten, Bombast und Zurückhaltung, Melancholie und Optimismus. Und nachdem man das alles sorgfältigst abgewogen hat, wird klar:
„A Common Turn“ ist alles andere als Hochstapelei, sondern ein gelungenes erstes Album, das hoffentlich auch die letzten Selbstzweifel bei der Künstlerin beseitigt hat.