Die britische Rockband Stereolab ist seit den frühen Neunzigern eine Institution im Indie-Pop- und Experimental-Rock-Olymp. Bands wie Deerhunter, Röyksopp, The Notwist oder !!! huldigten stets den Einfallsreichtum der fünf Briten um Lætitia Sadier & Tim Gane und ließen sich von ihnen inspirieren.

Dass die Entwicklung eines eigenen Sounds eine harte und lange Zeit ist, machen Stereolab auf ihrem neuen Compilation-Longplayer „Electrically Possessed [Switched On Volume 4]“ deutlich.

Das Album zeigt die Wege auf, die die Band zwischen 1999 und 2008 genommen hat. Als Nachfolger von „Switched On“ (1992), „Refried Ectoplasm: Switched On, Vol. 2“ (1995) und „Aluminum Tunes: Switched On, Vol. 3“ (1998) umfasst es somit die letzte Dekade des musikalischen Schaffens der Briten.

Und dieses letzte Jahrzehnt war ein sehr turbulentes für Stereolab – vom Ende der langen Beziehung zwischen den Bandmitgliedern Tim Gane und Lætitia Sadier bis hin zum Unfalltod von Bandkollegin Mary Hansen war gefühlt jeder Schmerz vorhanden.

„Losing Mary is still incredibly painful … But it’s also an opportunity to transform and move on. It’s a new version. We’ve always had new versions, people coming in and out. That’s life.“, sagte 2004 Sadier gegenüber dem Boston Herald.

Diesen Schmerz, diese Unsicherheit und diese Rastlosigkeit merkt man auf „Electrically Possessed [Switched On Volume 4]“, wo zwischen leicht zu hörenden Ambient und Work-in-Progress-Konzepten gefühlt alles vorhanden ist.

Den Anfang machen „Outer Bongolia“, „Intervals“, „Barock-Plastic“, „Nomus Et Phusis“, „I Feel The Air (Of Another Planet)“, „Household Name“ und „Retrograde Mirror Form“ – auch besser bekannt als die „The First Of The Microbe Hunters“-EP aus dem Jahr 2000.

Damals, kurz nach dem Erscheinen ihres siebenten Studioalbums „Sound-Dust“, waren Stereolab sehr unzufrieden mit ihrem eigenen Sound, der von den Produzenten John McEntire und Jim O’Rourke beeinflusst wurde. Sie entschlossen sich also, eine EP komplett selbst zu produzieren, um dieses Gefühl von lähmender Geschwindigkeit und trockener Kunst zu entfliehen. Heraus kamen sieben frische Tracks – irgendwo zwischen experimentellem Jazz und Achtziger-Fernsehserien-Pop – so gar nicht nach Stereolab klingend, aber dann doch wieder typisch.

Weitere Highlights auf „Electrically Possessed [Switched On Volume 4]“ sind „Free Witch And No-Bra Queen“ und „Speck-Voice“. Veröffentlich als 7inch-Tour-Single im August 2001, sind beide Songs wahrscheinlich die letzten Lieder, auf denen Mary Hansen mitgearbeitet hat.

Nur wenige Monate später, am 09. Dezember, wurde Hansen beim Fahrradfahren von einem LKW erfasst und starb im Alter von 36 Jahren. Gerade „Speck-Voice“ gilt als musikalischer Höhepunkt in der Karriere Stereolabs.

Während die meisten Songs der neuen Compilation schon auf einigen Singles zu finden sind, gibt es da doch diese kleinen Diamanten, die kaum einer zuvor gehört hat. So ist „Pandora’s Box Of Worms“ ein unveröffentlichtes Outtake vom fünften Album „Dots and Loops“ (1997).

„Variation One“ wurde 2004 exklusiv für die Dokumentation „Moog“ geschrieben und „Calimero“ stammt aus einer Zusammenarbeit mit Brigitte Fontaine, die auch schon mit Künstler wie Sonic Youth, Jarvis Cocker oder Grace Jones arbeitete.

Egal, ob Songs wie „Dimension M2“, „The Super It“, „Free Witch And No-Bra Queen“ oder „Outer Bongolia“ – alle gehören eher zum unbekannteren Backkatalog von Stereolab. Doch genau diese Unbekanntheit lässt alle 25 Songs auf „Electrically Possessed [Switched On Volume 4]“ in einem neuen Licht erscheinen.

Es ist eben kein Best-Of-Album, sondern eine sorgfältige Zusammenstellung einzigartiger Lieder aus der letzten Schaffensdekade Stereolabs.

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