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Neal Francis – In Plain Sight

Es ist 2019, Neal Francis hat gerade sein Debütalbum “Changes” herausgebracht – eine Melange aus 70s-Soul, R&B aus New Orleans und bluesigem Indie-Rock aus der Nashville-Schule.

Auf die Veröffentlichung folgt konsequenterweise eine Tour zur Platte. Mittendrin erfolgt allerdings ein harter emotionaler Schlag, der einiges ändert: Die Beziehung mit seiner langjährigen Freundin geht zu Bruch.

Kurz darauf zieht Francis in eine angeblich von Geistern heimgesuchte Kirche in seiner Heimatstadt Chicago, in der er als Kirchenmusiker arbeitet. Was eigentlich als ein vorübergehender Aufenthalt für einige Wochen gedacht war, wurde zu einem ganzen Jahr, in dem das Gotteshaus zum Dreh- und Angelpunkt des Pianisten wurde.

Jedoch nicht aus religiösen Gründen: Der Musiker ist nichtgläubig, die Kirche wird kurz nach seinem Einzug nicht mehr als Religionsgebäude genutzt. Vielmehr funktioniert Francis die Stätte zum Studio um, in dem er sein Zweitlingswerk “In Plain Sight” aufnimmt.

Sämtliche äußeren und inneren Parameter sind also völlig neu, alle Zeichen stehen auf Grün für den Sprung ins Unbekannte mit dem zweiten Album. Dass die Platte sich nun sowohl tonal, als auch emotional anders anfühlt als der Vorgänger, überrascht wenig.

Angefangen bei der radikalen Reduzierung von Funk-, Soul- und allgemeinen Gitarrenrock-Anteilen. Francis wendet sich mit den neun Songs eher retro-psychedelischen Strömungen zu, die von 60s-Psych-Pop über spacige und barocke Piano-Prog-Wildereien bis hin zu 70s-Synth-Art-Rock reichen.

Kopflastigkeit ist dennoch nicht zu befürchten: Der US-Amerikaner schreibt im Kern weiterhin solide, bezaubernde Pop-Songs, die nun in eine komplexe, aufregende Schale gehüllt ist.

Hier steckt eine ganze Menge Classic Rock drin, allerdings ohne den gniedelnden Altherren-Mief, der sich damit gerne einschleicht: Statt breitbeinigen Blues-Rock-Riffs sind es die Beatles in ihren psychedelischen Kinderschuhen etwa von “Strawberry Fields Forever”, statt Led Zeppelins Brusthaar-Bravado sind es bedächtige Space-Rock-Instrumentierungen von Pink Floyds “Dark Side Of The Moon”.

Auch die nüchterne Trockenheit der ersten Platte lässt “In Plain Sight” zurück und verliert sich lieber – ob gewollt oder als netter Nebeneffekt des Kirchen-Raumklangs – in vollen, halligen Klangkulissen.

An dieser Stelle auch eine Referenz aus diesem Jahrhundert: Der neue, schwebende Sound, den Francis hier für sich entdeckt hat, erinnert gerade mit den funkelnden Synth-Einsätzen in der zweiten Albumhälfte an die australischen Psych-Szenelieblinge Tame Impala.

Voller Inspirationen und Anleihen steckt “In Plain Sight”, schaut sich im Pop-Rock-Kosmos der vergangenen 50 Jahre nach allem um, was verschrobene Strukturen und unkonventionelle Melodien liefert. Am Ende funktioniert die Verbindung der Einzelteile, weil Francis sich nicht mit dem einfachen Zusammenklauben von Referenzen begnügt.

Vielmehr setzt der Musiker Altes in neue Kontexte und zaubert daraus einen ungeahnten Klangraum, der die Balance zwischen musikalischem Facettenreichtum und poppiger Attitüde findet, damit es einerseits nie zu verkopft und andererseits nicht allzu beliebig wird.

Neil Francis scheint emotional wieder an einem besseren Ort zu sein – und es zeigt sich in der Unbeschwertheit seiner neuen Songs.

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