Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Die zweite Teilfrage beantwortet Till Krücken alias Dissy mit „drei“. Denn neben Krücken – also dem Menschen, der in Ostberlin geboren wurde und der Sohn einer Opernsängerin ist – gibt es da nämlich noch „Fynn“, den Produzenten. Und „Dissy“, den Rapper, der in Krückens Jugend in Erfurt entstand.
Fynn und Dissy, das düstere und das naive Alter-Ego des jeweils anderen. Zusammen: eine ganze, semi-konstruierte Geschichte, die weit über die Musik hinausgeht und den Rapper Dissy als Kunstprojekt noch spannender macht. Doch trotzdem fragt man sich als Zuhörer*in auch: Wer ist der Mensch hinter der Maske?
Das neue Album „Anger Baby“ verspricht da neue Einblicke. Hinter keiner Fassade, hinter keinem Alter Ego müsse sich Dissy mehr verstecken, hier sei er „kein Prozent Kunstfigur“ mehr, sagt der Promotext. Hier höre man das „bis dato autobiografischste Werk“ des Rappers.
Auf den bisherigen Veröffentlichungen – dem 2018er-Debüt „Playlist 01“ und der Doppel-Konzept-EP „Bugtape Side A“ (2020) und „Side B“ (2021) – war Dissy der Versager, der Gescheiterte. Der, für den das Glas halb leer ist. Was war Autobiographie, was war Kunstfigur?
Düster klingt der Rap auf dem zweiten Album jedenfalls noch immer, die Beats sind schwer, die Stimmung dystopisch. „Diese Line zu schreiben ist zurzeit die letzte Hoffnung für mich, fair enough / ehrlich, ich hab‘ manchmal keine Wörter mehr für diese Welt parat“ („Fair Enough“). Selbst da, wo Dissy den Rap mit Pop durchmischt („Sexy Depression“), ist das so.
Wer bin ich? Das ganze Album kreist um die erste Teilfrage. „Ich bin ein Visionär, ich hab‘ Welten erschafft / die mir eigentlich nicht gut tun, jetzt reiß ich sie ab“, heißt es in „Postapokalypse“.
„Anger Baby“ ist die Rap gewordene Selbstreflexion. Ob wir hier den Menschen hinter der Kunstfigur hören, kann jeder für sich selbst entscheiden.