Seit 2015 tüfteln die beiden Dream-Pop-Fans Lucy Hill und Luke Hester alias Dahlia Sleeps nun schon an melancholischen Sounds mit viel Gefühl und Tiefgang. Nach drei EP-Veröffentlichungen kommt das Londoner Duo nun endlich mit dem Debütalbum “Overflow” um die Ecke. Wir trafen Luke und Lucy zum Interview und sprachen über mentale Finsternis, Inspiration und das ultimative Miteinander.
MusikBlog: Hi Luke, im Zeitalter von Zoom und Co. klappt auch nicht immer alles reibungslos. Du bist am Start, aber Lucy scheint noch irgendwie verschollen…
Luke Hester: Ja, wir wohnen beide in verschiedenen Ecken von London. Neben der Musik haben wir auch noch unsere regulären Jobs. Normalerweise ist Lucy aber nie zu spät. Sie müsste jeden Moment dazustoßen. Wir legen solche Sachen immer in Richtung Morgenstunden, damit wir danach noch pünktlich zur Arbeit kommen. (lacht)
(Sekunden später ist auch Lucy dabei)
MusikBlog: Lucy, ich sehe gerade, dass neben dir auf dem Tisch eine Vinyl-Kopie eures Debütalbums liegt. Direkt dahinter entdecke ich eine Zeitung mit furchtbaren Bildern zum aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine. Prallen da gefühlsmäßig gerade Welten aufeinander?
Lucy Hill: Ja, leider. Ich denke, dass wir alle irgendwie zwei Seiten in uns tragen. Da ist die eine Seite, die die verstörenden Nachrichten gerade nicht wahrhaben will und die sich ohnmächtig und elend fühlt. Auf der anderen Seite ist da aber auch ein Drang, sein Leben irgendwie weiter zu leben. Es ist in der Tat unheimlich schwierig gerade.
MusikBlog: Das Album erscheint Anfang April. Es hätte aber unter anderen Umständen auch schon viel früher veröffentlicht werden können, richtig?
Lucy Hill: Wir haben ungefähr ein halbes Jahr vor dem Beginn der Pandemie mit dem Songwriting für das Album begonnen. Das war schon eine sehr schwierige Phase für uns, da ich zu der Zeit mit mentalen Problemen zu kämpfen hatte. Als es mir dann endlich besser ging, kam die Pandemie. Das war wirklich hart für uns, denn wir beide brauchen den Kontakt und das unmittelbare Miteinander, um künstlerisch zu funktionieren. Plötzlich hieß es aber, dass wir uns für die Dauer einer unbestimmten Zeit nicht mehr würden sehen können. So zog sich das Ganze unheimlich in die Länge.
MusikBlog: Deine mentalen Probleme und die Gefühlswelt, die sich dir während dieser Zeit geöffnet hat, bilden die Themengrundpfeiler des Albums. Hat dir das Songwriting dabei geholfen, einen Ausweg aus deiner persönlichen Krise zu finden?
Lucy Hill: Ich lebe schon ganz lange mit dieser Last, die immer mal wieder hochkocht und dann aber auch wieder verschwindet. Manchmal hilft Musik, keine Frage. Aber diesmal war es oftmals einfach zu dunkel und düster für mich. Eigentlich war ich erst in der Lage, über meine Probleme zu schreiben, als es mir wieder besser ging. Dieser Prozess war dann sehr intensiv. So entstanden Songs, in denen es um Ängste und viel Leid geht. Aber da ist auch immer viel Liebe und Hoffnung mit im Spiel. Eigentlich war das alles so nicht geplant. Aber ich musste das Geschehene natürlich irgendwie in der Musik verarbeiten.
MusikBlog: Eure Musik wird von einer wärmenden und träumerischen Atmosphäre getragen. Was oder wer beeinflusst und inspiriert euch?
Luke Hester: Wir haben beide irgendwie immer ein sehr ähnliches Gespür für Sounds, mit denen wir arbeiten wollen. Da sind wir immer auf einer Wellenlänge. Ich denke auch, dass wir immer sehr songbasiert arbeiten. Jeder Track ist ein abgeschlossenes Werk. So entsteht eine gewisse Vielfalt, auch wenn die Grundatmosphäre auf einer Ebene bleibt.
Lucy Hill: Ich ziehe viel Inspiration aus der Natur und aus Büchern. Eine Freundin hat mir beispielsweise ein Lyrik-Buch geschenkt, in dem es um die Texte von Kate Bush geht. Das ist schon sehr intensiv, aufregend und inspirierend für mich. Da geht es auch darum, wie man gewisse Themenbereiche richtig lenkt. In meinem Fall ging es in Liebesliedern meist immer um Verluste und Leid. Liebe kann und sollte aber natürlich auch etwas Tolles und Schönes sein. Beides so in einem Lied zu verpacken, musste ich erst lernen.
MusikBlog: Ihr habt das Album selbst produziert. Wie wichtig ist es euch, die Kontrolle zu behalten?
Luke Hester: Ich weiß gar nicht, ob da das Gefühl der Kontrolle so sehr im Fokus steht. Ich mag es einfach, mit verschiedenen Sounds und Effekten zu spielen. Das ist eine Arbeit, da kann ich mich kreativ total austoben. Und das liebe ich wirklich. Letztlich ist es einfach passiert. Der Mixing-Prozess war schon auch ziemlich anstrengend. Da habe ich mir viele Nächte um die Ohren geschlagen.
MusikBlog: Ist euch die Studio-Phase am wichtigsten?
Luke Hester: Definitiv! (lacht) Ich glaube, wir könnten uns in ein Studio einsperren lassen und würden wahrscheinlich nie wieder rauskommen.
Lucy Hill: Das Schreiben ist ein unheimlich erfüllender Prozess. Wenn man merkt, dass da was entsteht, wo vorher nichts war, dann ist das ein unbeschreibliches Gefühl.
MusikBlog: Diese Phase stellt sogar das Konzerterlebnis in den Schatten?
Luke Hester: Ich stehe auch gerne auf der Bühne. Dort kann es auch magisch zugehen. Aber es ist nicht vergleichbar mit der Zeit im Studio.
Lucy Hill: Ich muss auch gestehen, dass ich immer großes Lampenfieber habe. Auf der Bühne mache ich mir manchmal vor Angst beinahe in die Hose. Das kostet mich wirklich immer viel Überwindung.
MusikBlog: Ihr passt tatsächlich perfekt zusammen.
Luke Hester: Wir haben gemerkt, dass es unheimlich wichtig ist, dass man sich gegenseitig vertrauen kann. Wenn man diese Art von Musik macht, die so verletzlich und intim ist, dann geht das nur, wenn da eine ganz besondere Bindung vorhanden ist.
Lucy Hill: Wir haben keine Partnerschaft, keine Freundschaft und wir sind auch nicht familiär miteinander verbunden. Wir sind irgendwie noch mehr. Das kann ich nur schwer beschreiben. Luke ist so unheimlich talentiert und geduldig. Er nimmt mich so wie ich bin. Das ist ein großes Geschenk.
Luke Hester: Lucy kümmert sich um alles und jeden. Das macht sie zu einer ganz besonderen Person. Wenn ich so über sie rede, und auch höre, welche Worte sie für mich findet, dann packt mich das schon emotional. Aber so ist es, und ich bin sehr, sehr glücklich, dass es so ist.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.