Dafür hätten wir uns früher noch geschämt – OK KID im Interview

OK Kid haben seit ihrem Debüt vor neun Jahren alles Mögliche gemacht: Hip-Hop, Indie-Rock, Power-Pop. Auf der fünften Platte „Drei“ haben die drei Kölner aus Gießen nun das gefunden, was fehlte: den roten Faden. Worin der besteht, ob OK Kid eigentlich Musiker oder Aktivisten sind und wie man in Zeiten der Dauerkrise optimistisch bleibt – das erzählen Sänger Jonas Schubert und Keyboarder Moritz Rech im MusikBlog-Interview.

MusikBlog: Ihr habt vor diesem Interview live auf der Fridays for Future-Demo hier in Hamburg gespielt. War das der Grund, herzukommen?

Moritz: Ganz genau.

Jonas: Genau, wir haben gestern Abend in Köln das erste Mal selbst vor 150 Leuten in unserer Stammkneipe das fertige Album durchgehört. Das war toll, aber auch ein bisschen ungewohnt, vor so vielen Leuten. Aber vorhin waren das nochmals viel mehr.

Moritz: Wir haben schon öfter auf Demos wie diesen gespielt, weil es einfach geil ist, wenn Menschen für ihre Ideale auf die Straße gehen. Andererseits verbinden wir den Auftritt jetzt auch damit, über unser Album und die Tour zu sprechen, denn das haben wir seit 2019 schon nicht mehr gemacht.

MusikBlog: Seid ihr auf einer Bühne wie der von Fridays for Future Aktivisten oder Musiker?

Jonas: In erster Linie sind und bleiben wir Musiker, deren Musik künstlerisch und ästhetisch im Vordergrund steht. Es gibt Bands, die findet man wegen der Haltung geil, aber die Musik scheiße. Und es gibt Bands wie The Smiths, deren Musik geil ist, die man aber nicht mehr hören kann, weil Morrissey mittlerweile ein nationalistischer Vollspacken ist. Wir versuchen, beides nicht zu sein, sondern gute Musik zu machen und damit auszudrücken, was uns bewegt.

Moritz: Weil das aber nun mal oft sehr politisch ist, drückt die Musik auch unsere Haltungen aus.

Jonas: Und in dem Sinne sind wir dann schon auch Aktivisten.

MusikBlog: Und als was nimmt euch das Publikum denn eher wahr?

Moritz: Das hat eine Wendung genommen. Je mehr wir uns über gesellschaftliche Entwicklungen klar äußern, desto aktivistischer empfindet es vermutlich auch das Publikum. Am Anfang waren wir sogar explizit unpolitisch.

Jonas: Was auch damit zu tun hat, wie wir nach der Wende aufgewachsen sind. Unsere Jugend war von Wohlstand und Privilegien geprägt, nicht von Politik oder Krisen wie heute. In dieser friedlichen Zeit haben wir uns vor allem um uns selbst gedreht. Klar, war man gegen Nazis und auch mal auf Demos. Aber ich war nicht mal wählen! Und auf einmal: Klimakatastrophe, Rechtsruck, Wir-sind-das-Volk-Gegröle, Pandemie…

Moritz: Jetzt auch noch Krieg.

Jonas: Von daher haben nicht wir uns verändert, die Welt hat uns verändert.

MusikBlog: Glaubt ihr denn im Umkehrschluss, die Welt mit eurer Musik und Haltung wieder zurückverändern zu können?

Moritz: Schön wär’s…

Jonas: Erstmal verändern wir uns mit der Welt, damit man sich nicht so sinnlos und ohnmächtig vorkommt. Denn so wichtig Bilder und Botschaften großer Demos wie der von vorhin sind: es geht dabei immer auch ein bisschen um einen selber, dieses Gefühl, Gleichgesinnte zu haben und zu treffen. Das ist beim Musikmachen generell gar nicht anders.

Moritz: Wenn ich von mir auf andere schließe, bewegt Musik unglaublich viel. Sie führt Menschen zusammen, kann auch heilsame Wirkung haben und sorgt dafür, sich mit seiner Sicht auf die Welt weniger allein zu fühlen. Trotzdem ist nach einem Konzert grundsätzlich selbst dann nichts besser, geschweige denn gut, wenn wie bei Fridays for Future schon mal 200.000 Leute da sind.

MusikBlog: Moralisch legt ihr die Messlatte dabei – wie auf eurer neuen Platte – von Klimawandel über Konsumkritik bis toxische Männlichkeit mittlerweile extrem hoch. Kommt ihr da auch privat drüber?

Jonas: „Drei“ ist in erster Linie eine Befindlichkeitsplatte, die in der Corona-Zeit sehr ich-bezogen, also aus persönlicher Perspektive heraus entstanden ist. Die Aussagen sind dadurch einerseits von der aktuellen Politik, aber auch von einer Art Weltschmerz geprägt, wie man es überhaupt hinkriegt, aus dem Bett zu kommen. Von daher war dieses Album mehr als jedes zuvor ein Stück Selbsttherapie, um mit der Situation klarzukommen.

Moritz: Und gerade deshalb darf man die Haltungen darauf nicht mit erhobenen Zeigefingern verwechseln. So sehr wir versuchen, uns und damit Dinge zu ändern: wir sind Teil der Krise, also Teil des Problems.

MusikBlog: Sind die Texte demnach allesamt autobiografisch?

Jonas: Die Geschichten sind nicht immer autobiografisch, die Emotionen dahinter schon. Und alles hängt auch immer noch davon ab, wie ich sie nach welchem Reimschema singe. Handwerk, Lyrik, Rhythmus, Duktus – alles nimmt Einfluss auf die Geschichten.

MusikBlog: Eine gute Punchline ist also manchmal wichtiger als der passende Inhalt?

Jonas: Ich liebe Punchlines und schreibe immer noch wie ein Rapper, obwohl wir Pop machen.

MusikBlog: Ist eine Story vom Polizisten Dennis in „Hausboot am See“ zum Beispiel real?

Jonas: Den gibt es wirklich. Die Geschichte ist aber so persönlich, dass ich Namen geändert und eigentlich auch nicht darüber reden möchte. Es gab das Hausboot, es gab den Junggesellenabschied und danach keinen Kontakt mehr.

MusikBlog: Wie authentisch sind Zeilen wie „ich bin Halbtagsmisanthrop und Quartalstrinker“?

Jonas: Auch da ist was Wahres dran. Ich liebe Menschen und finde sie gleichsam so bescheuert, dass diese Punchline nicht nur reinmusste, weil ich sie mochte. Wobei sich das Misanthropische eher auf Männer als Menschen bezieht. Klimakrise ist männlich, Kriege sind männlich, Kapitalismus ist männlich. Da hilft als Mann manchmal nur Quartalstrinken.

MusikBlog: Sowohl Halbtagsmisanthrop als auch Quartalstrinker klingt so ein bisschen verzagt und larmoyant. Ist „Drei“ ein optimistisches oder pessimistisches Album?

Jonas: Weder noch. Wenn ich singe, es ist kein Weltschmerz, sondern Weltkrieg, habe ich damit schon vor einem Jahr keinen Gemütszustand beschrieben, sondern die Realität. Die Platte ist komplett frei von Selbstmitleid, denn es ist total nachvollziehbar, sich schlecht zu fühlen. Weil mir die Filter für schlechte Nachrichten fehlen, war ich in all den Krisen zuletzt wie gelähmt, habe mich aber trotzdem aufgerafft.

Moritz: Geht mir genauso, ich finde einfach keine Lösungen in mir und schiebe die Realität beiseite. Wie soll man das sonst alles ertragen?

Jonas: Da wären wir wieder bei der Frage, was Musik verändern kann. Denn zumindest zeigt sie den Leuten, die sie hören, dass Leute da draußen genauso denken. Daraus kann, besonders auf Konzerten, was Positives entstehen.

MusikBlog: Zumal ihr die tragischen Texte an bedingungslos gutgelaunten Sound, manchmal sogar mit Schulterpolster-Saxofon und Eurodance, koppelt.

Moritz: Es gibt schon Stücke, in denen Text und Musik eins zu eins übereinander passen. Bei einigen lassen wir es aber tatsächlich bewusst eskalieren.

Jonas: Deshalb haben wir nicht nur das erste Saxofon-Solo auf einer Platte von OK Kid, sondern auch das erste Gitarrensolo. Dafür hätten wir uns vor fünf Jahren noch geschämt.

Moritz: Wobei wir schon immer einiges zugelassen haben, aber auf der Suche nach einem roten Faden waren. Den haben wir diesmal gefunden: Keine Schranken mehr, Begrenzung nur durchs Equipment, alles rein!

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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