Es musste ja so kommen: Die Lockdown-Monate haben uns allen schwer zugesetzt und finden jetzt mal mehr, mal weniger offensichtlich ihren Einzug in die Popkultur. Das kann in manchen Fällen zu bewusst optimistischen, in anderen zu zerreißend bedrückten Klängen führen. Und auch in Sachen Qualität wurde aus der erzwungenen Inspirationsquelle nicht immer gleich viel gemacht.
Deaf Havana nun im Atemzug der ungeschickten Gehversuche der Pandemie-Verarbeitung zu erwähnen, wäre etwas unfair. Der Titelsong “The Present Is A Foreign Land” ist schließlich ein ganz harmloser, aber netter Indie-Song. Nur den Weg dahin muss man sich erstmal erarbeiten.
Haken wir das leidige Corona-Thema direkt am Anfang ab: Dieses findet in einer sehr direkten Art nur im Albumtitel der sechsten Platte der Briten einen Platz. Hier bekommt die Lockdown-Zeit zwischen schicken Riffs irgendwo im Fadenkreuz von Keane und Coldplay ihre Bühne. Kann man durchaus in die ein oder andere Indie-Playlist mogeln.
Dasselbe gilt für “Someone / Somewhere”, bei dem IDER als Featuregast einspringt. Im etwas düster-sphärischen Sound lassen Deaf Havana ihrem Sound Raum zum Atmen. Und auch die beiden Tracks “Kids” und “Going Clear” können mit einer angenehmen Mischung aus Pop-Rock und Gospel-Chören gefallen. Also alles gut?
Nicht ganz. Im finalen “Remember Me” stellen die Gospel-Chöre die große Frage “How will you remember me?” und da muss man leider ein weniger positives Fazit ziehen. Denn bis zur Zäsur durch das neunte Lied ist “The Present Is A Foreign Land” ein Beweis, dass James und Matthew Veck-Gilodi wohl zu lange in der Pathos-Sauna gesessen haben.
Den Weg weg vom Indie-Rock merkte man der Band zwar schon auf dem Vorgänger “Rituals” an, die Verwandlung ist nun aber weiter fortgeschritten, als man sich zu träumen gewagt hätten. Acht Tracks lang schafft es das frisch gebackene Duo (Bassist und Schlagzeuger verließen die Band im vergangenen Jahr), mehr Kitsch zwischen die Notenhälse zu stopfen, als es sich Ed Sheeran in seinen schlimmsten Momenten getraut hätte.
An diesen erinnern sie im noch erträglichen “I Put You Through Hell”, bei “19dreams” muss man dann schon mit der Sunrise-Avenue-Rige als Referenzrahmen heranrücken. Das bedeutet natürlich nicht direkt, dass der neue Deaf-Havana-Sound direkt unerträglich wäre. Doch James Veck Gilodi scheint sich einen sehr wehleidigen Gesangsgestus antrainiert zu haben.
Das windet sich bei “Nevermind” zu Streichern in die Höhe, bei “On The Wire” klingen sie plötzlich nach Boyband – im schlechten Sinne – und “Trying/Falling” setzt dem Ganzen mit selbstbemitleidendem Falsett die Bombast-Krone auf.
“The Present Is a Foreign Land” setzt sich seinem Titel entsprechend mit der Problematik der Heranwachsenden auseinander, nur ist der Blick nicht wie bei Coming-of-Age-Romanen nach vorne gerichtet, sondern nach hinten. “I’ve been chasing the same dream when I was 19” singt James und man bekommt dieses Peter-Pan-Syndrom in voller Bandbreite ab.
So bleibt es nur leider auch inhaltlich zu generisch, um sich wohlwollend in die großen Pathos-Wellen zu stürzen. Wer aber keine Kitsch-Grenzen für sich setzt und mit dem Begriff Pop-Rock auch etwas Gutes verbinden kann, sollte vielleicht doch zuschlagen.