Hauptsächlich klaue ich Dinge – Zouj im Interview

Adam Abdelkader Lenox-Belhaj kennen viele aus seiner Zeit mit der Noise-Band Lingua Nada, die das Genre der Gitarrenmusik mit viel Experimentierfreude beackerte. Zouj ist nun sein Solo-Projekt, das die analogen Instrumente hinter sich lässt oder zur Unkenntlichkeit verzerrt. Zum Release seiner zweiten EP „Metal“ sprechen wir mit ihm über alte Genres, digitalen Feminismus und den besten Zustand seiner Songs.

MusikBlog: Hallo Zouj. Wie geht’s dir denn heute so? Bist du schon in Stimmung für die Veröffentlichung deiner EP?

Zouj: Ja! Letztes Jahr war beim Release von „Tagat“ alles okay, aber jetzt kenne ich das schon und kann beim Veröffentlichen etwas anders machen.

MusikBlog: Freust du dich denn auch anders darauf, weil die Songs anders klingen?

Zouj: Nicht wirklich. Wobei doch – sie sind besser. Hoffe ich. Jedes Mal, wenn ich eine neue Platte mache, wird es etwas besser. Es ist einfach schön, das draußen zu haben.

MusikBlog: Das glaube ich. Du willst ja auch beide als ein Vinyl herausbringen. Hängen die EPs denn auch irgendwie zusammen? Fühlt es sich für dich wie ein Gesamtwerk an?

Zouj: Nein, eigentlich nicht. Die erste ist ja auch eher ein Mixtape. Aber aus einer ökologischen Perspektive ergibt es keinen Sinn, zwei Platten zu haben, wenn es nur 20 Minuten Mucke pro Platte gibt. Ich bin froh, dass ich beide auf einmal veröffentlichen kann, aber eigentlich sind sie unabhängig voneinander. Aber die erste EP mag ich immer noch und ich glaube, die Leute mögen es auch lieber, ein ganzes Album auf Platte zu bekommen.

MusikBlog: Ich fand es auch ganz interessant, dass du nicht weißt, ob deine Musik jetzt Pop sein will oder nicht. Interessieren dich Genres denn überhaupt? Gibt es einen Rahmen, in dem du dich bewegen möchtest?

Zouj: Eigentlich ist es mir egal. Ich weiß, dass es aus der Perspektive der Musikindustrie nicht schlimmer sein könnte. Man weiß nie, wo ich hingehöre oder wo ich spielen soll. Für mich ist es irgendwie eine Hardcore-Band, aber auch elektronische Musik. Ich weiß es nicht. Hätte ich die Zeit dafür, wäre ich in 25 Bands. Aber ich habe nur die Zeit für eine, also packe ich alles, worauf ich Bock habe, darein. Dann kommt es, wie es kommt. Nur mit Reggae wird das nichts. Also hier meine Antwort: Es ist kein Reggae.

MusikBlog: Wo du es gerade schon erwähnt hast, du hast ja vorher auch schon in Bands gespielt, die sehr gitarrenlastige Musik gemacht haben. War es denn für dein Solo-Projekt wichtig, dass du deinen Sound da öffnest? Oder kam das eher von selbst?

Zouj: Ich glaube, das war eine normale Entwicklung. Wenn du zehn Jahre lang Gitarrenmusik machst, mit 100 Shows pro Jahr, kommt das irgendwie so. Schau dir auch meine Band an: Wir haben mit Garage angefangen, dann kam Noise und die letzte Platte war viel elektronischer. Ich glaube jetzt nicht, dass Rock tot ist, aber es ist ein älteres Ding. Das Neue passiert zum Beispiel in der elektronischen Musik oder im K-Pop – da gibt es immer Entwicklungen. Im Rock zwar auch, aber ich finde die anderen Entwicklungen interessanter. Klar, du kannst 30 Effektpedalen für deine Gitarre kaufen – oder auch einfach einen scheiß Synthie.

MusikBlog: Kann ich auch verstehen. Gibt es denn durch diesen Wechsel auch andere Themen, die du mit diesem Soundwechsel ansprechen möchtest?

Zouj: Ich habe leider keine speziellen Themen. Letztens hatte ich ein Gespräch mit jemandem und der meinte „Jedes Mal, wenn es eine Krise in der westlichen Welt gibt, kommt eine Reihe neuer Musik“. In den 60ern hattest du Rock’n’Roll, in den 70ern Punk-Rock und so weiter. Ich habe das Gefühl, man ist gerade Teil von etwas, das passiert. Das habe ich nicht selbst gesagt, aber als er das meinte, war ich direkt überzeugt. Es entstehen gerade viele neue Genres und Sounds, die oft sehr angepisst oder ironisch klingen. Bei mir geht es deswegen nicht nur um ein Thema, es ist eher das allgemeine Gefühl zwischen Furcht und dem Untergang. Ich schreibe keine Liebeslieder und auch nicht über allgemeingültigen Pathos wie das Traurigsein. So etwas packe ich nicht an.

MusikBlog: Ich hatte aber auch das Gefühl, dass es inhaltlich öfter mal um digitale Themen geht – was ja auch zur elektronischen Ausrichtung der Musik passt. Zum Beispiel bei „One“, wo du ja die Frage nach digitalen Entitäten und ihren Gefühlen stellst. Sind das denn Themen, die dich generell interessieren?

Zouj: Ja, das ist ein guter Punkt. Jemand hat darüber auch ein Buch geschrieben, das ich leider nicht gelesen habe. Es heißt „Glitch Feminism“ (von Legacy Russell, Anm. d. Red.). Aber es war total einleuchtend. Darin geht es darum, dass man jeder sein kann, wenn man einen Chatroom betritt, und so eine gewisse Gleichheit entsteht. Damit möchte ich aber in eine Diskussion treten, da ich mir sicher bin, dass wir immer Wege finden werden, andere zu diskriminieren.

MusikBlog: Hast du denn auch das Gefühl, dass du als Mensch inmitten dieser ganzen elektronischen Instrumente auch weniger im Fokus stehst als bei analogen Sounds? Du arbeitest ja auch viel mit Verzerrungen deiner Stimme.

Zouj: Das stimmt auf jeden Fall. Das macht die ganze Sache viel weniger egozentrisch. Es ist viel spielerischer. Daher soll es auch nicht um Liebe oder Beziehungen gehen. Nicht, weil ich mich nicht öffnen möchte, aber ich habe das Gefühl, das ist einfach zu egozentrisch für diese Musik. Ich bin sowieso schon eine egozentrische Person, wie wahrscheinlich alle. Ich kann mir aber keinen weiteren traurigen Lovesong von einem weißen Typen anhören. Wen interessiert das überhaupt noch? Der Teufel steckt ja auch im Detail. Spricht eine marginalisierte Gruppe über ihre Erfahrungen, ist das viel mehr Inhalt als ein weiteres Liebeslied.

MusikBlog: Woher nimmst du die Ideen für deine Texte generell? Würdest du sagen, dass Bücher dich inspirieren oder eher die digitale Welt – wo es ja schon um sie geht?

Zouj: Hauptsächlich klaue ich Dinge. Und wenn nicht, liebe ich vor allem düster-lustige Sätze. Wie zum Beispiel „Delete After Death“ oder „Driving With My Eyes Closed“. Aus solchen Titeln kann man so viel ziehen, es kann so vielseitig interpretiert werden. So mache ich das meistens.

MusikBlog: Wo wir schon über „Delete After Death“ reden – bei dem Track gibt es ja ein paar Disco-Beats, die sich sehr nach überfülltem Club anhören. Hast du denn beim Schreiben solcher Songs schon an das Livespielen gedacht und das Beisammensein mit anderen Leuten?

Zouj: Ich liebe einfach gute Disco-Musik. Ich liebe eine gute Bassline. Das ist auch die Musik, die meine Mama hört. 80s Soul-Punk-Zeug. Wenn ich zum Tanzen rausgehe, will ich nur so was hören. Nicht Trap oder Ähnliches. Davon will ich also definitiv mehr machen. Menschen reagieren darauf auch sehr positiv, sie bewegen sich, sie tanzen. Das brauche ich einfach.

MusikBlog: Ich kann mir gut vorstellen, dass es total Spaß macht, ein Projekt mit so unterschiedlichen Sounds zu machen. Freust du dich denn auch schon darauf, es auf die Bühne zu bringen? Wird es live ganz anders klingen als auf Vinyl oder bei Spotify?

Zouj: Wir haben die Songs schon ein paar Mal live gespielt, aber bald kommt ja die große Tour. Die Musik klingt live tatsächlich noch besser. Sie atmet und lebt. Das heißt jetzt nicht, dass es plötzlich ein DJ-Set oder eine Noise-Version geben wird. Aber es klingt einfach besser. Die Bandmusiker sind einfach alle Götter auf ihrem eigenen Gebiet. Ich denke mir nach jedem Auftritt nur „Hätten wir doch mal diese Version aufgenommen!“. Also kommt vorbei und hört euch die bessere Version live an.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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