Schon zum Support Emperor X ist es fast unmöglich, noch in die vordersten Reihen zu kommen, während vor der Türe noch die Spätsommersonne zum Verweilen einlädt. Von Publikumsschwund ist an diesem Mittwochabend im Kölner Luxor nichts zu spüren. Und das, obwohl das Konzert ursprünglich im Artheater stattfinden sollte und hochverlegt wurde, so dass noch 50 Leute mehr in den Genuss von Lucy Dacus und ihrer großartigen Band kommen.
Die Euphorie im Publikum ist spürbar. Und das schon zu Emperor Xs folkigen Gitarrenklängen, die gegen Ende auch nicht vor experimenteller Beatpoetik zurückschrecken, bei der man sich zwischenzeitlich fragt, ob irgendwo die Schallplatte hängen geblieben ist.
Schon vor dem ersten Song ist klar, Lucy Dacus hat eine extrem loyale Fanbase. Denn einige Schilder im Luxor verkünden, dass sie sich wünscht, dass alle Zuschauer*innen eine Maske tragen. Und tatsächlich sieht man in den proppenvollen Reihen keine einzige Ausnahme.
Den Mitsingchören hört man das nicht an. Schon beim Opener „Triple Dog Dare“ wird in großen Teilen jede einzige Zeile laut rezitiert. Was folgt, ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die einen zu keiner Sekunde loslässt.
Lucy Dacus hat ein unglaubliches Talent, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Nach einer kurzen Befragung ihrerseits wird klar, viele sind heute zum ersten Mal da. Und sicher nicht zum letzten.
Die Chemie stimmt auf ganzer Linie, denn auch die mit Dacus‘ fünfköpfiger Band harmoniert ausgesprochen gut. Ein beherzter Griff in die falschen Saiten wird da mit einem sympathischen Lächeln abgetan, während man sich spätestens zum folkigen „Going Going Gone“ fühlt wie auf einer großen Familienfeier.
Alle Musiker*innen versammeln sich ganz vorne am Bühnenrand, teilen sich die Mikros und sind selbst sichtlich überrascht, als zum Refrain ein Großteil des Publikums zuvor ausgeteilte Papiersterne und -sonnen schwenkt.
Da kann sich Dacus das Lachen hörbar nicht verkneifen und die Keyboarderin verschwindet kurzerhand hinter der Bühne, um anschließend mit ihrem Handy ein Selfie mit Dacus und dem Publikum zu machen. „Wer auch immer das organisiert hat, dem gebührt zusätzliche Ehre. Das war wirklich besonders“, bemerkt Dacus.
Kaum zu glauben, dass sich eine solche Leichtigkeit so organisch mit den intensivsten Emotionen abwechselt. Denn noch einen Song zuvor wirkte Dacus bei „Thumbs“ wie im Tunnel. Abseits der textsicheren Performance herrscht im Publikum absolute Stille. Man merkt, dass sich viele in Dacus‘ einfühlsamem Text über eine toxische Vaterfigur wiederfinden. Der Seufzer, der ihr anschließend entfährt, spricht allen aus der Seele.
Nachdem „Nightshift“ als letzter Song und waschechte Rocknummer den perfekten Rausschmeißer gegeben hätte, bei dem Dacus beweist, dass ihr auch die extrovertierteren Gesangsphrasen überraschend gut zu Gesicht stehen, gibt es dann doch noch eine Zugabe.
Nach dem Cher-Cover „Believe“, das statt stumpfer Diskobeats durch ein lässiges Bassriff überzeugt, beendet Dacus den Abend ganz allein mit einer Akustik-Ballade:
„Ich habe Thumbs schon lange live gespielt, bevor es veröffentlicht wurde. Und ich würde auch gerne jetzt einen Song spielen, der noch nicht aufgenommen wurde. Ich bitte euch also darum, nicht zu filmen. Bitte lasst alle eure Handys in den Taschen. Und wenn ihr euren Nachbarn seht, wie er oder sie heimlich filmen will, reißt das Handy aus der Hand, zertretet es und werft die übrig gebliebenen Teile in verschiedene Richtungen. Seid die schlimmste Version eurer selbst. Ihr seid sehr nett, ich weiß, dass euch das nicht leichtfällt. Aber manche Dinge muss man machen.“
Überflüssig zu erwähnen, dass an diesem Abend keine Handys zerstört werden müssen.