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AnnenMayKantereit – Es Ist Abend Und Wir Sitzen Bei Mir

Eskapismus auf höchstem Niveau oder der Fluch der ewigen Banalität? Auch auf „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ beschäftigen sich AnnenMayKantereit mit Titeln wie „Verliebt sein“ oder „Du tust mir nie mehr weh“ lyrisch wieder hauptsächlich mit Liebeskummer, erzählen von früheren Abenteuern in der Großstadt oder reimen „Als ich ein Kind war / Gab es kein Insta / Dafür jeden Tag ab drei / RTL 2“.

Damit bleiben AMK ihrer Linie der Post-Teenager-Dramatik weitestgehend treu. Musikalisch hingegen zeigt sich das Kölner Trio hingegen abwechslungsreich wie nie.

Schon der Opener „Lass es kreisen“ überrascht mit einem groovigen Bass, der nach den ersten Sekunden auf eine Computerstimme trifft, die den Hörer zu einem Tanzbattle und Kontrollverlust in Menschenmengen auffordert. Wem das nicht reicht, der darf spätestens zum großen Finale mit rockigem Gitarren-Solo und Latin-Vibe die Hüften schwingen.

In gewisser Hinsicht ist „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ ein Konzeptalbum. AnnenMayKantereit nennen ihre Erfindung das Gastgeberalbum. Obwohl zwei Drittel des Trios mittlerweile in Berlin wohnen, haben sie es sich für die Aufnahmen in ihrem Proberaum in Köln heimisch gemacht und – wie der Name vermuten lässt – jede Menge Freunde eingeladen, die nach stillem Zuhören durchaus dazu aufgefordert waren, ihren Senf dazu zu geben.

Vielleicht erklärt das die stilistische Bandbreite des vierten Albums. Und obwohl der entspannte Titelsong oder die melancholische Klavierballade „Heute Abend wird es regnen“ mit einer Hymne an „Erdbeerkuchen“, bei der Zeilen wie „Sommer, Sonne, Kuchengabel / Eiskalte Limonade / Sonnenbrille ist ein Muss / Und Filterkaffee ein Genuss“ textliche Simplizität auf einen neuen Höchststand anhebt (die man so auch auf einem Helge-Schneider-Album vermuten könnte), sorgt natürlich Henning Mays Stimme für den roten Faden, der die 15 Songs auf „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ zusammenhält.

Ganz am Ende wartet zumindest für alle Kölner eine längst überfällige Nummer. „Tommi“, eine Ode an die Heimatstadt von AnnenMayKantereit, bei der May sich im Refrain am lokalen Dialekt versucht, ist längst integraler Bestandteil des heimischen Liedguts, das es bislang nur als Live-Version gab.

„Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ ist eine runde Platte geworden, die das musikalische Spektrum von AnnenMayKantereit gekonnt erweitert, ohne zu eklektisch zu werden. Und so gerne man Henning May immer wieder bei der Verarbeitung seines Liebeskummers zuhört und ihn als Soundtrack für die eigenen schlechten Tage ausleiht, könnte man sich für Album Nummer fünf doch mal wünschen, dass die textliche Horizonterweiterung nicht schon beim Erdbeerkuchen Halt macht.

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