Auf einmal war da nichts mehr – Half Moon Run im Interview

Mit ihrem neuen Studioalbum „Salt“ geht die kanadische Indie-Pop-Band Half Moon Run einen Schritt zurück, ohne dabei aber das Hier und Jetzt aus den Augen zu verlieren. Aufgepeppt mit vielen Ideen und Visionen aus der Vergangenheit bauen die neuen Songs eine ausbalancierte und homogene Klangbrücke zwischen den Anfangstagen der Band und dem Ist-Zustand. Kurz vor der Veröffentlichung des neuen Studiowerks trafen wir uns mit Schlagzeuger Dylan Phillips zum Interview und sprachen über inspirierende Altlasten, harmonische Studiozeiten und die ganz große Hektik.

MusikBlog: Dylan, euer neues Album trägt den Titel „Salt“. Kannst du uns verraten, was es mit dem Titel auf sich hat?

Dylan Phillips: Wir alle wissen, dass Salz übrigbleibt, wenn man Material bis auf die Essenz reduziert. Es bildet quasi den Ursprung und das Fundament. Wir haben diesmal alles ausgebuddelt, was wir je aufgenommen und festgehalten haben. Wir wollten all die Erinnerungen noch einmal bearbeiten, mit neuen Ideen ergänzen und am Ende schauen, was wirklich übrigbleibt. Wir haben für dieses Album 60 Demos aufgenommen. Wir haben insgesamt 24 Songs im Studio fertiggestellt. Dann haben wir uns die Frage gestellt: Was ist das Beste vom Besten? Schlussendlich sind 11 Songs übriggeblieben, die alles vereinen, was uns als Band ausmacht.

MusikBlog: Musikalisch stellt ihr euch breit auf. Auf dem neuen Album spielt ihr viel mit unterschiedlichen Dynamiken und Atmosphären. War das ein wachsender Prozess?

Dylan Phillips: Das ließ sich gar nicht aufhalten. Die 60 Demos klangen alle so unterschiedlich. Man hat noch einmal die ganze bisherige Reise der Band verfolgen können. Wir waren noch nie eine Band, die sich festgelegt hat, was Sound oder Ausrichtung betreffen. Wir waren immer offen für alles. Wenn man aber alles auf den Tisch legt – und ich meine, wirklich alles, dann ist man selbst überrascht, wie breit gefächert sich alles präsentiert. Das Einzige, das sich über die Jahre nie verändert hat, sind unsere Harmonien und unsere Gesänge.

MusikBlog: Welche Einflüsse drängen sich in so einem Prozess noch von draußen mit rein?

Dylan Phillips: Um ehrlich zu sein, nicht wirklich viele. Natürlich hören wir alle viel Musik. Wir hören auch alle unterschiedliche Sachen. Ich zum Beispiel, komme eher aus dem klassischen Bereich. Nebenbei höre ich auch noch Ambient und einiges aus dem elektronischen Lager. Ich denke schon, dass etwas davon auch irgendwie in den Produktionsprozess mit einfließt. Aber eigentlich entscheidet die Musik selber, in welche Richtung es geht. Das Ganze passiert einfach.

MusikBlog: Ihr habt diesmal mit dem Produzenten Connor Seidel zusammengearbeitet. Wie war die Stimmung im Studio?

Dylan Phillips: Es war eine ganze entspannte und außergewöhnlich harmonische Zusammenarbeit. Connor ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten während der Arbeit im Studio wohlfühlen. Wir hatten früher immer nur das Endresultat im Kopf, wenn wir ins Studio gegangen sind. Für uns stand immer nur der Song und das Ergebnis im Vordergrund. Connor hingegen hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass man sich während der Arbeit auch wohlfühlt. Der ganze Prozess sollte viel mehr im Mittelpunkt stehen. Denn man kommt auch zu viel besseren Ergebnissen, wenn man sich während des dazugehörigen Prozesses richtig gut fühlt.

MusikBlog: Einige Songs sind während der Pandemie entstanden. Wie blickst du heute auf diese außergewöhnliche Zeit zurück?

Dylan Phillips: Es war eine sehr schwere Zeit. Vorher waren wir eine höchst aktive Band, die einen Plan verfolgt hat und sehr strukturiert war. Wir haben Songs aufgenommen und uns auf Konzerte und Festivals vorbereitet. Die Musik war unser Leben. Wir hatten gar keine Zeit, über andere Dinge nachzudenken. Plötzlich stand die Welt dann Kopf – und auf einmal war da nichts mehr, außer ganz, ganz viel Zeit. Das war total verrückt. Während dieser Phase, in der wir alle viel nachdenken konnten, haben wir auch unseren Gitarristen Isaac Symonds „verloren“, der sich dann für einen anderen Lebensweg außerhalb der Band entschieden hat. Es ist viel passiert und es hat sich auch viel verändert während dieser Zeit.

MusikBlog: Ich habe gehört, dass ihr während der strikten Lockdown-Phasen viele hektische Momente überstehen musstet.

Dylan Phillips: Oh ja, das war ziemlich verrückt. (lacht) Wir hatten unsere produktivste Phase, als in Montreal wirklich alles stillstand. Es gab sogar eine Ausgangssperre ab 21:00 Uhr. Irgendwie kamen uns die besten Ideen aber immer zwischen 20:00 und 21:00 Uhr. Wir mussten uns dann total beeilen. Wir feuerten uns dann immer gegenseitig an. Das war komplett irre. Aber es war auch irgendwie cool, weil es unheimlich intensiv, spannend und produktiv war.

MusikBlog: Wenn du all diese Erlebnisse und Erfahrungen mit denen von vor zehn Jahren vergleichst – die Zeit, in der alles anfing: Was hat sich verändert?

Dylan Phillips: Irgendwie hat sich alles verändert. Unsere Musik, wir als Musiker, aber auch als Menschen, unsere Arbeitsweise: Da hat sich viel getan in den letzten zehn Jahren. Wir mussten unheimlich viel lernen, weil wir am Anfang sehr naiv waren und von nichts eine Ahnung hatten. Das war ein langer Prozess. Musikalisch betrachtet, war das Wichtigste, herauszufinden, wie wir als Band am besten funktionieren. Wir können nicht immer alles live einspielen. Aber es sollte das Ziel sein, so viel wie möglich als komplette Band festzuhalten, damit diese Live-Energie erhalten bleibt.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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