Wer 2023 die Gallionsfigur der New Yorker Punkbewegung, die Poetin des Rock, die Kämpferin für Gerechtigkeit live erleben möchte, der durfte im Vorfeld nicht zögerlich sein. Patti Smith hat sich zu einer Tour mit kleineren Locations entschieden, um einen intimeren Rahmen zu schaffen. Entsprechend waren die Tickets für die wenigen Termine in Windeseile vergriffen.

Zum Auftakt der restlos ausverkauften Tour gastierte sie im Karlsruher Tollhaus, wo es an diesem Abend durchaus warm ist, zu warm für den Kreislauf der 76-jährigen Punk-Ikone, die bei ihrem Keyboarder und Bassisten Tony Shanahan daher nach den ersten paar Stücken einen Stuhl beordert, um sitzend zu singen.

„This is a song of life whether you’re standing or sitting down”, flachst sie ins Mikro, und behält sich sowohl im Jux als auch der körperlichen Schwäche jederzeit die Haltung, die sich traditionell in zahlreichen Coversongs äußert.

Allen voran in Bob-Dylan-Songs. Bei „All Along The Watchtower“ wird es erstmals laut im Saal und der Singer/Songwriter-Gestus gegen die Erinnerung an Smiths wildere Tage eingetauscht. Sie arbeitet dabei stets mit ihren Händen, die sich links und rechts ihres Körpers auf und ab bewegen, wie bei einer Predigerin, die anstelle von Heilsversprechen, Denkanstöße – und wenn es sein muss – auch den Funken Wut transportiert.

Hände, die sich auch mal zur kämpferischen Faust ballen, wenn Smith etwa Songs den Arbeitskräften mit unliebsamen Tätigkeiten widmet: „They clean up our mess all day. The toilet workers and all the others, they shall not be forgotten.“

Ob sie nun den Television-Song „Guiding Light“ interpretiert und damit ihre subversiven Kenntnisse im Indie-Rock erkennen lässt, oder ihr eigenes Stück „Dancing Barefoot“ zum besten gibt, das zu einem der Höhepunkte des Abends zählt – an ihren Überzeugungen besteht keinerlei Zweifel.

Wohl aber an der Aussage, sie und ihr Quartett hätten im Vorfeld kaum geprobt. Dafür läuft diese Band viel zu geölt. Gerade ihr Sohn Jackson Smith brilliert den Abend hindurch als Blues-Gitarrist, der sich bei seinen Solos am liebsten unter seiner Schiebermütze versteckt.

Als seine Mutter dann doch eine Pause braucht und sich für einige Minuten von der Bühne zurückzieht, zeigen auch Tony Shanahan und Schlagzeuger Sebastian Rochford, welch unglaublich gute Musiker sie sind, wo sie ansonsten so fabelhaft zweckdienlich agieren. Sei es beim Neil-Young-Cover “After The Gold Rush” oder “One Too Many Mornings” von Dylan.

Als Smith 15 oder 16 Jahre alt war, sei bei ihr den ganzen Tag Bob Dylan gelaufen. Sie hätte sich damals nicht vorstellen können, ihr Idol zu treffen, geschweige denn mit ihm auf der Bühne zu stehen. Dass sie mit ihren poetischen Lyrics längst zu ihm aufgeschlossen hat, zeigt sich einmal mehr bei  “Because The Night Belongs To Lovers”, jener Song, den sie zusammen mit Bruce Springsteen schrieb und den sie an diesem Abend Jackson’s Vater widmet.

Wäre danach Schluss gewesen, hätte es niemandem im Publikum gegeben, der das nicht verstanden hätte. Doch sie kommt nochmal zurück, trotz der Schwindelgefühle, die sie das Konzert hindurch plagen, um mit der Zugabe „People Head the Power“ die flotteste ihrer Take-Home-Messages zu performen.

Sie war schon dreimal in Karlsruhe und verspricht ein viertes Mal. Einen weiteren Abend also, bei dem die Haltung auch im hohen Alter zählt, wo der schwächelnde Kreislauf keine geplante Setlist erschüttert und Omis im Publikum lautstark durch die Finger pfeifen. Kurz: Unbezahlbar!

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