Spannend ist es in der Regel immer, wenn Bands und Acts sich versuchsweise in fremden Genres tummeln. Ob es Beyoncé im Country ist, Jeff Rosenstock im Ska oder King Gizzard & The Lizard Wizard so ziemlich überall: Wenn Künstler*innen aus ihrer Komfortzone kommen, ist es eine Herausforderung – und ob erfolgreich oder nicht: Es ist ein Erlebnis, die künstlerischen Schritte im Neuland mit anzusehen.
Nach zwei Jahrzehnten tiefgehender Abstecher in die wundersame Welt irgendwo zwischen Rap und Pop ist es nun auch für Alligatoah soweit und seine Musikwelt wird ein ganzes Stück größer.
Um auf den Lorbeeren seiner erfolgreichen Karriere nicht faul zu werden und sich selbst anzuspornen, auch mal über den Tellerrand hinauszublicken, wechselt Lukas Strobel alias Alligatoah die musikalischen Ufer und landet in harten Gitarren-Gefilden.
Einen Kindheitstraum nennt der Rapper den Abstecher namens „off“, seinen nostalgischen Rückblick in eine Zeit, in der Linkin Park und Limp Bizkit noch in aller Munde und Ohren waren. Mit Metal-Riffs, Crossover und Screams versucht sich der Sänger an seinem siebten Album.
„Ich fühle dich“ ist dabei die sanfte Eingewöhnung in das Neuland: Der Song startet zwar mit heftigem Riff-Gewitter, dennoch dominieren die Rap-Parts noch und die Gitarren erkämpfen sich stetig mehr Raum.
„Niemand“ ist da schon einen Schritt weiter und klingt wie ein Nu-Metal-Track aus den 90ern, den man am besten mit roter, nach hinten gedrehter Baseballcap genießt.
Strobel gibt sich aggressiver, verbindet seine typische Alligatoah-Poesie mit den neuen Soundgewändern – er passt sich so gut wie möglich an die neue Situation an und probiert sich darin bereitwilliger aus. Wie etwa in „Wer lacht jetzt“, wo es mit Blast-Beats und Hass-Gitarren in Richtung Death-Metal geht.
Die Krone des Crossover-Experiments dürfte das Feature auf „So raus“ von Nu-Metal-Ikone höchstpersönlich Fred Durst von Limp Bizkit sein – das kommt allerdings äußerst kurz und zahm um die Ecke und versandet schnell wieder. Darüber hinaus haben auch die deutschen Genre-Legenden Guano Apes sowie Rapper Bausa und Tarek K.I.Z. Gastauftritte.
Aber selbst die Riege an Gästen kann die Glaubwürdigkeit von „off“ nicht einmal ansatzweise retten: Zusätzlich zum altbekannten, Alligatoah-schen Phänomen, dass der Rapper viel redet, aber am Ende wenig Substanzielles sagt, wirken die Rock- und Metal-Ansätze oftmals einfach wie die Auswüchse eines jungen Fans, der zum ersten Mal Linkin Parks „Hybrid Theory“ hört und beschließt, so etwas nun auch machen zu wollen.
Ob nun gerappt, gescreamt oder gegrowlt: Strobels Organ will nie so recht in die Instrumentals passen und reibt sich an allen Ecken und Enden mit dem Rest der Tracks. Die Pop-Rap-Energie und der Nu-Metal sind einfach zu verschieden – was auch daran liegen mag, dass Letzteres mit wenig Originalität zu sehr von anderen Bands abgeguckt ist und daher nie wirklich auf die Alligatoah-Vocals abgestimmt wurde.
Die Mainstream-Presse wird voraussichtlich dennoch Purzelbäume schlagen und wahlweise Metal, Crossover oder gleich Gitarrenmusik allgemein als „endlich wieder zurück“ deklarieren. War es doch mit Machine Gun Kelly genauso, der nach einem mittelmäßigen Pop-Punk-Album als Messias des Genres gehandelt wurde – sehr zur Verwunderung der durchaus großen und aktiven Pop-Punk-Szene.
Am Ende des Alligatoah-Experiments ist das Fazit schnell getroffen. Bei aller Liebe für Kindheitsträume und Nostalgien: Nicht alles, was kann, soll auch.