Charlotte Day Wilson steht für intensive Emotionen und gefühlvolle R’n’B-Sounds, die garniert mit Elementen aus Soul, Folk und Elektro bereits vor drei Jahren für große Augen und gespitzte Lauscher in der Szene sorgten. Mit ihrem zweiten Studioalbum „Cyan Blue“ taucht die Kanadierin nun noch tiefer ein in die Welt der großen Gefühle. Kurz vor der Veröffentlichung des Debüt-Nachfolgers trafen wir uns mit Charlotte Day Wilson zum Interview und sprachen über verblassende Magie, strikte Auszeiten und die Scheu vorm Rampenlicht.
MusikBlog: Charlotte, ich habe gelesen, dass der Titel deines neuen Albums von deiner Augenfarbe inspiriert sein soll. Stimmt das?
Charlotte Day Wilson: Ja, in gewisser Weise schon. In meinen Augen schimmern die Farben blau und grün. Meine erste Freundin war damals total begeistert von meiner Augenfarbe. Sie sagte immer, dass diese Farbmischung etwas ganz Besonderes sei und dass man sie wohl Cyan nennt. Ich selbst kenne mich da nicht so aus, aber dieser Moment, in dem dir etwas mitgeteilt wird, das eine so große Bedeutung für dich und dein Leben hat, den vergisst man nicht mehr. Auf dem Album beschäftige ich mich genau mit dieser Thematik, dass man die Bilder zu diesem überwältigenden ersten Gefühl irgendwann nur schemenhaft vor Augen hat. Ich wünschte mir dann, ich könnte noch einmal mit diesen „Cyan-Blue“-Augen von damals sehen und fühlen.
MusikBlog: Das klingt nach viel Zerrissenheit.
Charlotte Day Wilson: Ja, auf dem Album geht es auch um Verluste und den Umgang mit Gefühlen der Trauer. Aber auch nicht nur.
MusikBlog: Bist du jemand, dem es leicht fällt, sich so weit zu öffnen?
Charlotte Day Wilson: Nicht wirklich. Das kann manchmal sogar ziemlich hart sein. Das Problem ist einfach, dass ich eigentlich nicht möchte, dass jemand denkt, dass er mich aufgrund meiner Texte als Person einschätzen oder charakterisieren kann. Wie jeder andere Künstler schreibe ich über persönliche Erfahrungen, aber auch genauso über Dinge, die ich nicht selbst erlebt habe, oder auch über Dinge, die einfach nur fiktiv sind.
MusikBlog: Ist das auf der Bühne nochmal eine ganz besondere Herausforderung?
Charlotte Day Wilson: Wenn ich einen Song aufführe, der intensive Erinnerungen wachrüttelt, dann ist das nicht immer ganz so einfach. Aber es gibt auch Momente auf der Bühne, die sehr heilsam sein können. Manchmal kommen Leute nach der Show zu mir und sagen mir, dass sie Ähnliches erlebt haben. Das hilft natürlich bei der Verarbeitung.
MusikBlog: Dein erstes Album erschien vor drei Jahren. Schreibst du kontinuierlich zwischen zwei Produktionsphasen?
Charlotte Day Wilson: Nein, gar nicht. Ich ticke da ganz anders als die meisten Musiker*innen. (lacht) Wenn ich eine Produktion fertiggestellt habe, dann brauche ich erstmal eine strikte Auszeit. So lade ich mich und meine Kreativität wieder auf. Irgendwann überkommt es mich dann wieder. Und dann setze ich mich wieder hin zum Schreiben.
MusikBlog: Entsteht dieser Soundmix aus Soul, R’n’B, Folk und Jazz dann ganz automatisch?
Charlotte Day Wilson: Normalerweise gehe ich schon mit einer ziemlich klaren Klangvorstellung in den Produktionsprozess. Ich bin auch die, die alle Instrumente einspielt, alles mischt, verändert und kontrolliert. Diesmal wollte ich aber mal loslassen, denn die Kontrolle über alles zu haben, bedeutet nicht immer, dass man auch Spaß hat. Ich wollte diesmal aber unbedingt auch ganz viel Spaß haben. Ich habe also meinem guten Freund und Co-Songwriter Jack Rochon alle Instrumente einspielen lassen. Ich habe mich nur auf meine Stimme konzentriert. In dieser Konstellation entstanden dann sehr interessante und manchmal auch sehr überraschende Sounds.
MusikBlog: Deine ersten EPs und auch Teile deines Debütalbums hast du im Haus deiner Eltern oder in einer ganz alten Hütte, die schon seit über 60 Jahren im Besitz deiner Familie ist, aufgenommen. Wie und wo hast du diesmal aufgenommen?
Charlotte Day Wilson: Ich habe schon lange nicht mehr in diesen beiden Häusern aufgenommen. In der Hütte hatten wir keine Internetverbindung und auch sonst nur sehr wenige Annehmlichkeiten. Es gab also nur mich, meine Ideen und die Musik. Das war schon irgendwie sehr intensiv. Heutzutage schreibt man an einer Idee, dann klingelt plötzlich das Handy und man unterbricht den kreativen Prozess. Das ist sehr schade. Im Haus meiner Eltern habe ich damals aufgenommen, weil ich zu der Zeit keinen Zugang zu einem Studio hatte. Das hatte also eher pragmatische Gründe. Diesmal habe ich einige Songs bei mir zu Hause aufgenommen und einige bei Jack im Studio.
MusikBlog: Nach dem ganzen Produktionsprozess geht’s raus zu den Leuten. Demnächst steht die Tour zum neuen Album an. Wie groß ist die Vorfreude?
Charlotte Day Wilson: Ich freue mich auf die Zeit auf der Bühne. Aber ich bin eigentlich lieber im Studio und arbeite an meinen Ideen. Ich bin kein Mensch, der gerne im Rampenlicht steht. Wenn ich auf Tour bin und abends merke, dass mich alle für etwas Besonderes halten, nur weil ich auf der Bühne stehe, dann macht sich da bei mir auch ein Gefühl von Unwohlsein breit. Ich weiß, dass es dazu gehört und meist sind die Shows auch irgendwie toll. Aber grundsätzlich bin ich doch lieber abseits des Rampenlichts unterwegs.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.