Wie eine Erdbeere in einem Milchshake-Mixer habe sie sich damals gefühlt, als sie im ESC-Zirkus tanzte. So beschrieb Lena Meyer-Landrut den Druck zwischen Paparazzi und Publikums-Erwartungen vor knapp zehn Jahren bei Markus Lanz. An den Erwartungen knabbert sie wieder: An ihren eigenen Ansprüchen an sich selbst.
Sich selbst treu zu bleiben, “Loyal To Myself”, ist daher Thema ihres sechsten Albums. Überraschend lang verharrt sie schon im Musikbiz. Es ist eine Welt, in die sie rund ums Abitur zufällig hinein geriet. Wegen eines Praktikums. Noch nach “Satellite” träumte sie vom Synchronsprechen für Kinderfilme.
Wie zufällig hinein gestellt, als Gummipuppe im Hochglanz-Dance-Pop, wirkte sie auf den letzten Streaming-EPs der Pandemie-Jahre. Noch fataler auf “Loyal To Myself”:
Man hört heraus, dass mehrere Auftrags-Songwriter und neun verschiedene Produzenten die Stimme der Hannoveranerin am Marionetten-Faden durch anscheinend willkürlich arrangierte Bounce-Nummern ziehen.
Die Texte hören sich wie die einer 14-Jährigen an. “Loyal To Myself” ist lyrisch definitiv nicht die authentische Platte einer gerade 32 gewordenen Mutter eines kleinen Kindes.
Von den Offbeats des Vorgängers “Only Love, L” bleibt ein Rinnsal an Kreativität übrig. Ein Touch Reggae leuchtet in “Mean Girls” auf. Angedeuteter Drum’n’Bass ziert die stumpfen Beats in “Drug Worth Doing”.
Wo bei der Promi-Person situativ alles rund läuft, zwischen satten TV-Gagen, Familienglück und hoher Insta-Reichweite, und wo Lena in eigenen Worten “der glücklichste Mensch” ist, da braucht es einen Cliffhanger. Frei nach dem Motto, dass nur Menschen mit einer schwierigen Kindheit schöpferische Werke erbringen, wird aus Lena wieder der Teenager, dem wir bei der Entpuppung zuschauen. So wie 2010.
Wobei das jetzt in erster Linie die Kids tun dürften, die gerade geboren wurden, als Lena den ESC gewann. Ihrem Markenzeichen, der eigenwilligen Englisch-Aussprache in “Satellite”, bleibt sie punktuell treu:
So singt sie von ‘risäinz’ in “Right Reasons”. Die maschinellen Folktronica-Merkmale des Liedes bewirken eine seltsame Distanz zur Stimme und Persönlichkeit Lenas. Hier wie auch in vielen anderen Tracks verkörpert “Loyal To Myself” die Ästhetik eines College-Film-Soundtracks:
Dort hinein fügen sich dissonante Melodien, Hi-Hat-Plug-Ins vom Niveau eines DJ Khaled, flächige Softpop-Electro-Bausteine, ein bisschen verstimmte akustische Rhythmusgitarre, melodramatische Verzweiflung in den Vocals zu banalen Zeilen und ein bisweilen viel zu hoher Gesang, den die Wahl-Berlinerin nur mit extremer Bemühtheit halten kann.
Dazu springt Lena thematisch abrupt. Vermisst sie gerade noch ihren Lover und betont die Unzertrennlichkeit der Beziehung mit ihm, schimpft sie danach auf Fake-Freundinnen, die sich als hinterhältig herausstellen, als “Schlangen”. Und plötzlich säuselt sie ein Kinder-Schlaflied, ausnahmsweise auf Deutsch – “Ein uralter Baum weht im Wind / Du bist beschützt hier, mein Kind”.
Zwischen der gebrochenen Stimme Celine Dions und der Glätte Carly Rae Jepsens findet Lena phasenweise so etwas wie eine eigene Gesangs-Handschrift, nämlich immer dann, wenn sie zutraulich und süß herüber kommt.
Doch der große Überbau, von einer “Reise nach einer großen persönlichen Krise”, von Selbstzweifeln und Mental Health, überzeugt nicht und fängt schon gar nicht musikalisch ein.
“Loyal To Myself” ist nicht die Singer/Songwriter-Selbstfindungs-Platte, die Werbung und Promo-Texte bemühen, sondern industrieller Teen-Pop mit einem Minimum an Überraschungen.