In Schlaflaboren werden Gehirnströme beim Träumen gemessen. Elektro-Enzephalogramme zeichnen Kurven und Ausschläge auf und zeichnen ein Bild aus der Denk-Aktivität im Unterbewusstsein. Den Cigarettes After Sex könnte diese Technologie helfen, um passende Musikvideos für ihren Sound zu entwerfen.

Bisher arbeitet das relativ anonyme Dream-Pop-Trio ohne das Medium Video. Dieser Ansatz mag heute als subversiv gelten, sogar wie kommerzieller Suizid. Trotzdem geht das Konzept bestens auf:

Lange vor dem nunmehr dritten Album „X’s“ gelangen der Band bereits Streaming-Hits mit den Songs „K.“ und „Apocalypse“. Alben kamen in die Top 30 der deutschsprachigen Länder. Die Ex-Texaner, heute in NYC, gingen inzwischen auf TikTok viral.

Nun muss man einräumen, dass nicht in jedem Genre ein Storytelling drumherum, Biographien, Images oder Visualisierung wichtig sind. Bei Dream-Pop möchte man abschalten, sich anspruchsvoll berieseln lassen – das ist der Kern dieser Musik.

Am besten gelingt das mit hochwertigen Sounds, super produziert, eingängig, nicht zu süßlich, jedoch weich, harmonisch, melodieselig. Auf „X’s“ fließen all diese Zutaten vorbildlich zusammen.

Wenn dann eine Stimme hinzu kommt, der man gerne zuhört, egal was sie singt, sind beste Voraussetzungen geschaffen. Frontmann Greg Gonzalez hat eine solche Stimme. Sie klingt crémig, unschuldig, schwärmend, romantisch.

Greg stopft das Kreativitätsloch, das die Nathan Willett und seine Cold War Kids seit dem tollen „New Age Norms 1“ zuletzt mit halbgaren Releases ins Segment der soulig beschwingten Indie-Popmusik rissen.

Cigarettes After Sex warten nicht mit einem Einzel-Key-Track auf, sondern ehren das Albumformat. Ähnlich wie bei einem perfekt gemixten Deep-House-DJ-Set fließt ein Stück bruchlos ins nächste. Der Effekt beim Zuhören ist, angeregt, stimuliert und dabei ausgiebig entspannt zu werden.

Dabei erzählt die gesamte Platte die niederschmetternde Geschichte einer schwer verkraftbaren Trennung. Sie ereignete sich nicht im ‚verflixten siebten‘ Jahr einer Beziehung, sondern nach vier Jahren. „X’s“ handelt von genau einer Ex-Freundin.

Das autobiographische Schreiben über seine Verlustgefühle empfand Greg Gonzalez als kathartisch, heilsam, eine Art Selbsttherapie. Mister Gonzalez textet selbstkritisch, analytisch, mit der Chance aus Fehlern zu lernen. Mit dem Schmerz, sich selbst rückblickend zu betrachten und Momente zu bereuen.

Besonders deutlich wird das Suchen nach dem Kern, der in dieser Trennung steckt, im Song „Baby Blue Movie“. Das Lied beschreibt das tiefe Aufopfern innerhalb der vormals engen Bindung und wie zwei eine Symbiose eingingen, aber nur einer das zu schätzen wusste.

In „Hot“ wandelt sich Gregs Stimmlage zu einem Wechselspiel aus leichtem Näseln und Schmirgelpapier-Tonalität. Sie funktioniert als wirkungsvoller Hinhör Earcatcher.

Anders als bei Dream-Pop-Acts wie Death And Vanilla lassen sich alle Lyrics von Cigarettes After Sex klar verstehen. Vanille-Sahnetorte ist in einem Stück kurz Thema. Alle Worte sind deutlich über die Instrumente gemischt und verschwimmen nicht in ihnen.

Freistehende Phasen ohne Gesang ereignen sich selten. Zum Ende des Albums werden es mehr, aber auch nicht länger als 25 Sekunden, wie in „Dreams Of Bunker Hill“.

Im Unterschied zu den schnörkelreichen Liedern der gleichfalls sanften Combo Mercury Rev arbeiten Cigarettes After Sex kaum mit Loops, bewegen sich in kristallklaren, kompakten Song-Strukturen unter vier Minuten und setzen auf pulsierende Grooves.

Der leichte Soul-Vibe unter allen Stücken gelingt Schlagzeuger Jacob Tomsky hervorragend. So hat die Raucher-Gruppe mit dem prägnanten Namen ein trauriges Thema mit Schwung, Schliff und dem richtigen rhythmischen Kick umgesetzt. Ausnahmslos super.

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Album

Fazerdaze – Soft Power

Album

Laura Marling – Patterns In Repeat

Album

Ezra Collective – Dance, No One’s Watching

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke