Ihren Hype nutzt Remi Wolf für Hyper-Pop. In den USA hat sie binnen weniger Jahre mehrmals dank einzelner Tracks und Track-Schnippsel große Bekanntheit bei den Millenials gewonnen. Mit „Big Ideas“ liegt nun ihr zweiter Longplayer vor.
Die Zielgruppe weiß wahrscheinlich nicht, welche Strömungen hier in Retro-Manier verwurstet werden. In „Slay Bitch“ surft Remi auf der Disco-Welle der späten 1970er.
Anders als Jessie Ware, die aus dem Zitieren ganze Themen-Platten macht, beschränkt sich Newcomerin Remi auf „Big Ideas“ aufs kurze Antippen von allem Möglichen, das sie cool und nachahmenswert findet.
Produzent Solomonophonic übt dabei einigen Einfluss aus, denn er schreckt üblicherweise vor nichts zurück. In „Alone In Miami“ muss der Grunge der späten 1980er, frühen ’90er dran glauben. In „Motorcycle“ verleibt sich sein junges Talent Remi den Neo-Soul ihrer Kindheit ein und singt ihn selbst.
Stilistisch kommt diese(r) Wolf nicht im Rudel daher: Denn Remi grenzt sich von allen ab. Und während viele andere Alt-Pop-Youngsters in ihrer Alterskohorte einen bestimmten Trick mit jedem Track vervielfachen, packt die 28-Jährige alle paar Minuten etwas völlig Unerwartetes aus ihrer Überraschungs-Box.
So verlangt uns die Künstlerin einige Flexibilität ab. Zum Beispiel, wenn sie von glitchigem Bedroom-Pop über Avril-Lavigne-artige Elektro-Punk-Elemente zu Dance weiter zieht. Wenn sie Folk mit R&B kreuzt und von bass-besoffenem Funk zu strohig dürrem Lo-Fi pendelt.
Meistens vernietet Wolfs Technik- und Kreativ-Team all diese Zutaten zu überzeugenden Neuschöpfungen. Wer bei Halsey oder vergleichbaren Artists, die Alternative, Rock-Riffs und Funk-Tieftöne mit der cheesy Welt von Urban, Dance und hochfrequenten Electrosounds vermischen, die Stirn kräuselt, sollte Remi trotzdem eine Chance geben. Denn bei ihr bekommt man ein vollendetes Konzept um die Ohren gestrichen.
Die Kalifornierin pitcht und autotunet ihre Stimme, legt sie unter Filter. Sie verfremdet sie so oft ins Verwaschene, Unscharfe, Unschöne, Dissonante, dass die Vocals ausgiebig mit den Ideen des Hyper-Pop spielen. Sie selbst nennt das „hypercolored“.
Auch fragmentarische Song-Intros, Instrumentierung und Mastering tragen zu einem insgesamt reibungsreichen Gesamt-Outfit bei. Hier lassen sich zwar die Lyrics, die trivialen Themen, und eingängige Hooks wie in „Wave“ und „Cherries And Cream“ dem Pop zurechnen. Die Details jedoch folgen einer Meta-Logik, transzendieren das Banale und Konventionelle des Pop und sorgen für eine alternative, abwechslungsreiche, originelle und gelungene Platte, die mit mehrmaligem Hören immer attraktiver wird.