Berlin erlebte gestern Abend eine musikalische Landung der besonderen Art: Die Ärzte, Deutschlands selbsternannte “Beste Band der Welt”, ließen den ehemaligen Flughafen Tempelhof – Pardon, DÄmpelhof, wie er von den Ärzten selbst für die drei Konzerttage umbenannt wurde – in einem dreistündigen Konzertmarathon erbeben.
Bereits am frühen Nachmittag ging es bei hellem Sonnenschein mit den beiden Support-Acts los, die MusikBlog-Newcomer Shirley Holmes sowie die altehrwürdige englische Metal-Band Girlschool, mit denen schon Lemmy von Motörhead zusammen gearbeitet hat und die ehrfürchtig von Bela B und Rod González anmoderiert wurden, während sich ca. 45.000 Besucher*innen auf dem DÄmpelhofer Feld einfanden.
Pünktlich um 19:00 Uhr eröffneten Farin Urlaub, Bela B und Rod González ihre Show mit dem passenden Hit “Nicht Allein”. Apropos nicht allein: Wer dachte, er könne in Ruhe sein Öko-Bier aus Brotresten schlürfen, hatte die Rechnung ohne das Trio gemacht.
Schon vor dem zweiten Song „Super Drei“ vom 30 Jahre alten Album “Planet Punk” wurden die Zuschauer*innen aufgefordert, einen Moshpit zu bilden, was in kleiner Form auch weit hinten geschah.
Die Setlist war ein Best-of der Ärzte-Karriere, garniert mit einigen Überraschungen. Von Klassikern wie “Westerland” und “Schrei Nach Liebe” bis zu neueren Perlen wie “Noise”. Besonders das “Lied Vom Scheitern” entpuppte sich als Mitsing-Hit beim Publikum, dessen Altersspanne mit zwischen 6 und 60 bezeichnet werden konnte.
Zwischen den Songs gab’s wie gewohnt jede Menge Geplänkel und Wortakrobatik. Bela B entpuppte sich wieder als Showmaster des Abends und führte mit der Souveränität eines Late-Night-Moderators durchs Programm.
Ein Highlight war definitiv die Interpretation von “Friedenspanzer”, bei der das Trio eine improvisierte Friedenshymne einbaute – Punk trifft Weltfrieden, sozusagen. Auch der Überraschungs-Snippet von F.R. Davids “Words” vor “Lady” sorgte für Begeisterung und nostalgische Gefühle gleichermaßen.
Doch Die Ärzte wären nicht Die Ärzte, wenn sie nicht auch eine ernste Note in die Show einbringen würden. Bela B trug stolz eine “Fuck AFD”-Kette, die nach den Konzerten für einen guten Zweck versteigert wird. Die Band nutzte die Bühne für klare Statements gegen Rechts und forderte das Publikum eindringlich zum Wählen auf, mit dem Hinweis, dass einige AFD-Anhänger ironischerweise am meisten unter deren Herrschaft leiden würden.
Bei der zweiten Zugabe nahm sich die Band Zeit, um über das “Labor Tempelhof” zu sprechen – ein Projekt, das sich der klima- und ressourcenpositiven Nachhaltigkeit bei Großveranstaltungen verschrieben hat. Von Ökostrom über Bio-Toiletten mit Stroh bis hin zu den vollständig kompostierbaren beleuchteten Buchstaben wurde beim gestrigen Konzert an alles gedacht. Passenderweise folgte darauf der Song “Ich Ess Blumen” – Vegetarier*innen jubelten, Fleischfans grübeln noch.
Ein besonderer Höhepunkt war die Performance von “Bitte Bitte” bei der dritten Zugabe. Farin Urlaub präsentierte sich mit einer goldenen Haube mit strahlenförmigen Stacheln, während Bela B eine goldene Gruselmaske trug, die seine untere Gesichtshälfte bedeckte und auf einer goldenen Keytar spielte. Rod komplettierte das Bild hinter einem imposanten, mehrstöckigen Keyboard-Turm in einem hellen Gewand. 80er-Retro-Chic vom Feinsten!
Bela verwendete während der Show auch eine eigens für die drei Konzerte angefertigte Gitarre aus Aluminium, hergestellt von einem Berliner Musikladen als “Tempelhof Edition”.
Nach fast vier Stunden mit drei Zugaben verließ eine erschöpfte, aber glückselige Menge das Gelände und überschwemmte die umliegenden Straßen und U-Bahn-Eingänge. DÄmpelhof war gestern Abend definitiv der coolste und gesellschaftlich wichtigste Ort in Berlin. Die Ärzte haben einmal mehr bewiesen, dass sie live eine Klasse für sich sind – und dass man auch nach 40 Jahren Bandgeschichte noch frisch und relevant klingen kann.