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hackedepicciotto und Element Of Crime – Live im Tollhaus, Karlsruhe

Mit einer Mischung aus lakonischer Poesie, melodiösem Schwelgen und einer unverkennbaren Stimme haben sich Element Of Crime um Bandkopf und Autor Sven Regener seit den 80er Jahren als eine der prägenden Bands der alternativen deutschsprachigen Musikszene etabliert.

Von ihrem weitreichenden Einfluss zeugt folgerichtig ein restlos ausverkauftes Karlsruher Tollhaus, das hartnäckig den äußerst schwülen Temperaturen trotzt. Der Schweiß setzt Duftmarken und konstant größer werdende Flecken, auch und erst recht auf der Bühne: „Keine Lust mehr auf Sommer“, singt Regener dann beinahe antagonistisch.

So entscheidend seine Mitstreiter auch sind, angefangen bei Gitarrist Jakob Friderichs oder Taktgeber Richard Pappik am Schlagzeug, so sehr ist die Band doch auf ihren Sänger zugeschnitten. Auch wenn der mit zunehmend krächzender Stimme auf die äußerst saubere Melodieführung seiner Band angewiesen ist.

Regener als Sprachrohr und Dirigent macht es sich zuvor dann auch zur Aufgabe, die auf gänzlich andere Art außergewöhnliche Supportband hackedepicciotto persönlich anzumoderieren.

Mit den Worten „Hier kommt das Avantgarde-Duo des Jahres, oder besser der Jahre, eigentlich seit immer“, lässt er keinerlei Zweifel an seiner aufrichtigen Verehrung für Alexander Hacke, seines Zeichens Bassist der Einstürzenden Neubauten und dessen Frau Danielle De Picciotto, Leadsängerin der Band Space Cowboys und Mitbegründerin der Love Parade.

Das Ehepaar fordert das Publikum mit Industrial-Klängen, Spoken-Word-Passagen und pulsierender Elektronik zum Experiment. Dabei entgleitet das Duo nie ins Uferlose, sondern fokusiert stets eine künstlerische Subtilität mit ausgefallenem Instrumentarium.

Mit Hacke an der Gitarre oder dem Drumpad, Picciotto an der Geige, einer Drehleier oder gänzlich namenlosen Saiteninstrumenten, sind sie ein mehr als spannendes Gesamtkunstwerk, das vor dem Hintergrund des Abends einiges wagt.

Denn damit positioniert sich der Support-Act recht entfernt von der verbrämten Melancholie und Melodieseeligkeit, die die Hauptband auszeichnet. Und doch verfangen hackedepicciotto auch bei jenen Aufgeschlossenen, die Element Of Crime als verkappte Jazzfans mit Faible für unkonventionelle Straßenmusik verehren.

Musik, für die nur selbstgedrehte Zigaretten in Frage kommen, oder eben ein „Hot Dog Unten Am Hafen“. „Wir haben einfach das, was man im Film gesehen hat, genommen und reingetan in den Song“, kommentiert Regener das Stück, das exklusiv für den Streifen „Robert Zimmerman wundert sich über die Liebe“ entstand. Regener fügt hinzu: „Heute ist Tag der großen Weisheiten“.

Und zur Weisheit gehört auch, dass die sechsköpfige Band keinerlei Bilder wünscht und Fotografen untersagt sind. Dabei gebe die gleichermaßen unbedarfte, wie herrlich packende Gestik hervorragende Schnappschüsse.

Zur Polka von „Kaffe Und Karin“ rudert Regener vor jedem Refrain so wild mit den Armen, als wolle er das Stück ins Publikum schieben. Mit der linken nicht selten beim Zeigefinger, in seiner rechten Hand die Trompete, aus der er gar Marriachi-Klänge herauszuholen vermag, verkörpert Regener charmant die Bedeutsamkeit des Dargebotenen.

Seine Trompete, ein Saxofon und ein Akkorden sind es, die das Prinzip der Rockband so gekonnt torpedieren, dass am Ende etwas Unverkennbares, hierzulande Beispielloses dabei herauskommt –  Weltschmerz im Kinderliedformat, Artrock hinter Folkloremelodien.

Daran hat auch Gitarrist Jakob Friderichs seinen Anteil, wenn er brillant die Drei- und Vierklänge auf den Saiten verschiebt und mit dem Bottleneck nicht selten den Mellow-Effekt eingießt, damit Regener mit der krächzenden Stimme noch schöner dagegen anarbeiten kann. Wenn es sein muss, gar auf Englisch: „You fucked up your life, your life is a mess“ heißt es beim Song „Don’t You Smile“ aus dem 87er Album „Try To Be Mensch“.

Es ist Musik wie das Leben: ungeschliffen, manchmal unperfekt, jederzeit schön und kratzbürstig, liebevoll und missgünstig zugleich. Sowohl für Melancholiker als auch für ungeübte Tänzer.

Von einer Band, die ein Abonnement für die größte Kleinkunst-Bühne von 3sat haben sollte. Und das im besten Sinne. Eine Band, bei der sechs Herren auf der Bühne stehen, und im Publikum dennoch nahezu Geschlechter-Parität herrscht, falls die Frauen nicht gar leicht in  Überzahl sind. Sie sind es auch, die beim zweiteiligen Zugaben-Set am intensivsten mit dabei sind.

Ob „Fallende Blätter“, „Delmenhorst“ oder „Finger Weg Von Meiner Paranoia“, erst singen sie mit und dann lachen sie an den richtigen Stellen in den Zwischenpausen. Zuletzt und umso lauter beim Gummibärchen- und quasi Solosong von Regener und der Zeile: „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin.“ Chapeu!

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