Den Multikulturalitäts-Grad von London kann man an Los Bitchos ablesen. Man könnte nach dem Modell der Melenas oder von Las Kellies vermuten, dass die Band vielleicht spanisch oder lateinamerikanisch wäre. Ist sie aber nicht, auch wenn sie auf “Talkie Talkie” kolumbianische Cumbia-Bausteine mit Psychedelic-Pop, Surf und New Wave fusioniert. ‘Bitchos’ ist wiederum kein spanisches Wort, sondern quasi ‘Spanglish’. Ein Kunstwort.

Keine der vier Musikerinnen kommt derweil aus Kolumbien, und überhaupt nur eine aus einem südamerikanischen Land, Keyboarderin Agustina, Herkunft: Uruguay. Die Bassistin stammt aus Schweden, die Lead-Gitarristin aus Australien.

Und wer singt? Niemand. Los Bitchos legen ein Instrumental-Album vor, ihr zweites. Insoweit setzen sie einen starken Kontrast zu der Musikrichtung, in der mittlerweile kaum ein Album ohne das Wort ‘bitch’ auskommt, dem Rap.

Los Bitchos’ nicht vorhandene Lyrik lässt inmitten schillernd bunter Klangfarben ausgesprochen viel Spielraum für Interpretation. Immerhin, ein bisschen Text gibt es trotzdem. So ruft ein Bandmitglied in “La Bomba” “Hey! Hey! Hey!” und im Eröffnungslied “Hi!” tatsächlich “Hi!” und spricht jemanden als “Bitch” an.

Die Musik für sich genommen teilt sich – ohne Worte – im Urlaubs-, Strand- und Relax-Modus mit. Nostalgisch auf Zeitreise, führen die idyllischen und harmonisch süßen Melodien in die Sechziger zurück, gleichwohl die Verstärker manchmal härter dagegen halten, als das damals üblich war, und die Drums etwas Widerborstiges ausstrahlen.

Die Schläge fallen manchmal mit bleierner Schwere. Hier tanzt keiner so leicht vorbei. Doch tanzbar ist die Musik ganz eindeutig schon. Es ist zwar zum Einen Flowerpower, was Los Bitchos zitieren. Ein bisschen Prä-Garage-Sound schwingt mit, wie er 1966/67 in den USA aufkeimte, was man in “Talkie Talkie, Charlie Charlie” mehr als klar heraushört.

Zum Anderen wird es aber multikontinental. Anatolische Rockmusik fließt stellenweise ein, alte Sachen wie sie die Szene von Derya Yildirim & Grup Simsek und von Altin Gün sie in Deutschland heute revitalisieren. Es geht indes sowieso viel ums Andeuten und Erschaffen einer einmaligen Mixtur.

Die eingeschleuste Cumbia ist ein alter Rhythmus aus Kolumbien, ursprünglich mit Flöte, im Lauf der Jahre zusätzlich mit Klarinette und Saxophon oder gar Posaune bestückt.

Los Bitchos brauchen also gar keine Worte, wenn sie schon aus so vielen Genre-Töpfen ihre Uptempo-Stücke zusammen rühren. Wer sich jetzt fragt, wie man 40 Minuten instrumentale Musik in dieser Besetzung ohne Elektronik und Effekte aushält, dem sei gesagt: Erstaunlich gut!

“Talkie Talkie” läuft kurzweilig durch und lässt nichts vermissen. Für Intensität sorgen die quasi sprechende Orgel wie in “Naughty Little Clove” oder “Open The Bunny, Wasting My Time”, starke Song-Dramaturgien in mitunter überraschenden Verläufen – zum Beispiel in “Twango & Twirl” – und grelle Momente mit surrealen Verfremdungen an der Gitarre wie in “Kiki, You Complete Me”.

Schließlich spielen Los Bitchos dann etwas aus, das man unverschämt hypnotisch nennen könnte. So mag einen das vorwärts Treibende von “Don’t Change” kalt lassen oder packen. Aber wenn es einen ergreift, lässt es einen nicht mehr los.

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